Turnip Boy Commits Tax Evasion Review | Kleine Rübe auf großer Mission

Wenn eine Rübe Steuern hinterzieht, muss Turnip Boy dahinterstecken. Es folgen keine Tipps zur Steuerhinterziehung, sondern eine Heldenreise.

Bereits seit der ersten Ankündigung wusste ich, dass Turnip Boy Commits Tax Evasion die nicht ganz ernst gemeinte Geschichte einer kleinkriminellen Rübe erzählen will. Der Witz, die lebendigen Farben und die schrulligen Charaktere versprachen ein lustiges Abenteuer, das zur Abwechslung mal eine pflanzliche Geschichte erzählt. Völlig arglos freute ich mich darauf, mit meiner Rübe hinter den Plan mit dem Steuerbetrug zu kommen. So viele Fragen drängten sich mir auf, ich wollte sie alle beantworten. Nicht zuletzt nahm ich mir vor, von meinem Opa zu erzählen, der unermüdlich im Garten ackert und jedes Jahr die Früchte seiner Arbeit in den Händen hält. Themen, die den lockeren Tonus des Action-Adventures kontrastieren und ergänzen. Es wäre eine gute Idee, so das naive Ich, trotz aller Flapsigkeit mit einem gewissen Anspruch an die Rübenreise heranzugehen.

Aber Turnip Boy Commits Tax Evasion hatte andere Pläne mit mir. Besagte Steuerhinterziehung spielte keine nennenswerte Rolle. Bereits das erste Gespräch mit Bürgermeister Zwiebel banalisierte den titelgebenden Betrug. Da war er dahin, mein gesellschaftlicher Ansatz! So konnte ich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Steuerhinterziehung vergessen. Rübi zerriss den ersten behördlichen Bescheid, der erwartete Aufstand blieb aus. Es war nur eine leere Drohung, ich dürfe mir die Radieschen von unten ansehen (Wie makaber, mit der Unterseite entfernter Verwandten zu drohen).

Turnip Boy Commits Tax Evasion und zerreißt mutwillig gutwillige Botschaften

Der alles auslösende Bescheid würde nicht das letzte Stück Papier bleiben, das mich nicht überlebte. An vielen Stellen fielen mir alle Arten von Dokumenten in die nonexistenten Hände: Briefe, Bescheide und Urkunden, nur um ein paar zu nennen. Mein Rübinger schien ein notorischer Papierhasser mit Aggressionsproblemen zu sein. Ich musste alles zerreißen! Es tat mir jetzt schon um die Tagebücher leid. Für jeden Anfall von Zerstörungswut erhielt ich ein Achievement, das mir zu meinem neusten Akt des Aktenschredderns gratulierte. Und ich würde auf meiner Reise jede Menge Papier finden.

Ich trat sie ohne Umschweife an, nachdem ich meine harmlose Abreibung von Bürgermeister Zwiebel kassiert hatte (die ohne Tränen auskam, nur um den schlechten Witz zu bringen). Nach einer Erklärung fragte ich gar nicht erst, ohnehin schien Rüberling die Zunge am Gaumen zu kleben. Anders konnte ich mir die Anhäufung von Satzzeichen, die er statt eines Gesprächs produzierte, nicht erklären. Seine Gegenüber schienen das problemlos zu verstehen, es blieb also meiner Imagination überlassen, was ich da brabbelte.

Von geklauten Kannen und klobigem Gekloppe

Nur mit einer (gestohlenen) Gießkanne ausgestattet, begab ich mich auf Bürgermeisters Mission. Aber es fiel den Dorfbewohner_innen allzu leicht, mich abzulenken. Rüberich nahm all die absurden Aufträge zuckersüß lächelnd entgegen. Ein kleines Karottenbaby zu seinem Elternteil zurückbringen, das mit einem Hocker auf dem Grün einen Tanz im Gemüsebeet aufführt? Ähm, gerne? Wenn ich durstige Pflanzen mit meiner gestohlenen Gießkanne wässerte oder mit den Scherg_innen des Bürgermeisters plauderte: Die Frage, ob ich dabei Held_in, Werkzeug oder Kleinkriminelle(r) war, erschloss sich mir noch nicht. Meine etwas hilflos anmutenden Erkundungen führten immerhin dazu, dass ich ein Schwert fand. Mich packte der Tatendrang.

Mit einem Mal war ich bewaffnet und zu allem bereit: Steuerschulden zurückzahlen, einer Tomate zu mehr Followern verhelfen, Forschung betreiben. Wie sich allerdings herausstellte, war ich für einen Bossgegner nur eingeschränkt bereit. Plötzlich verwandelte sich das niedliche Gehüpfe in eine echte Herausforderung. Ich konnte die Tastenbelegung zwar selbst anpassen, aber Rübens kennt nur vier Richtungen und verfügt weder über Schild noch Ausweichrolle. Obwohl es ein Wunder ist, dass eine Speiserübe überhaupt ein Schwert halten kann, fühlte sich die Treffergenauigkeit alles andere als wunderbar an. So starb ich öfter, als mir lieb war, aber zu meinem Glück brachte das Ableben keinen Nachteil. Ich zog also erneut in den Kampf. Es brauchte ein paar Anläufe, aber schließlich durfte ich jubeln.

Durch meinen ersten Sieg motiviert, marschierte ich zurück zum Bürgermeister, der mich postwendend auf die nächste Quest schickte. Das Wort „Quest“ kommt vom lateinischen quaestio, was mit Forschung oder Frage übersetzt wird. Von Fragen allerdings keine Spur – eine Legitimation für seinen Auftrag durfte ich mit der Begründung, ich hätte mir schon genug herausgenommen, nicht verlangen. Und so ging ich, das nächste Stöckchen zu holen. Fast fühlte ich mich wie der verzauberte Besen in Goethes berühmter Ballade. Eile nun und gehe Mit dem Wassertopf!

Es grünt so grün wo Spaniens Rüben blüh‘n. (Frei nach My Fair Lady)

Nichtsdestotrotz war in mir etwas geschehen. Die Fragen in meinem Hinterkopf waren verstummt, während ich mit Klein-Rübli über die Wiese hüpfte. An ihre Stelle trat ein fröhlich blubberndes Glücksgefühl. Es begann damit, dass ich über die Witze der Bewohner_innen lachen konnte. Eine böse dreinschauende Mafia-Gemüsegurke im Glas? Ein schwadronierender Makkarono auf Rachefeldzug? Eine Grabräuberkartoffel, die im heimgesuchten Friedhof auf Beutesuche geht? Warum sollte ich das Abenteuer Rüberlings ernst nehmen, wenn es sich selbst nicht ernst nimmt? Wo liegt der Sinn im Unsinn? Also hörte ich auf, über Gründen zu grübeln, und begann, wahrhaft zu suchen.

Ich fand einen liebevollen, ohrwurmverdächtigen Soundtrack, der mich insbesondere in brenzligen Situationen anfeuerte. Die auffälligen Alliterationen der Ortsnamen bereiteten mir mit einem Mal diebische Freude. Ich gluckste fröhlich über zahlreiche Witze und Anspielungen, die sich hier schlecht wiedergeben lassen. Ich biss in Bosskämpfen die Zähne zusammen, war froh, dass selbst Grasbüschel manchmal Herzen droppten und folgte jeder klitzekleinen Quest, um keine Zeile der brüllend komischen Dialoge zu verpassen. Und ich liebe die erkundbare Oberwelt. Immer wieder kreuzten kleine Rätsel meinen Weg, welche Rübur zur Anwendung aller bisher erhaltenen Fähigkeiten zwangen. Das machte allein dank der augenzwinkernden Umsetzung Laune. Ich grub, schlug und bombte mir meinen Pfad frei. Egal, wie oft es mich den Kohlkopf kostete: Aufgeben kam nicht infrage, der Ehrgeiz hatte mich gepackt.

Nur damit du’s weißt, Glühen wird nicht von der Krankenkasse übernommen (Bürgermeister Zwiebel, Turnip Boy Commits Tax Evasion)

Und wo mich die Geschichte noch hinführen würde! Ich folgte der Karotte vor meiner Nase und steckte plötzlich bis über beide Ohren in einem absurden Verschwörungsplot. Denn ich wurde erleuchtet und hatte endlich eine Mission! Naja, fast. Rübo war in radioaktiven Müll getreten und leuchtete nun einer Qualle gleich in einem ungesunden Grün. An diesem Punkt wurde ich eins mit dem Meme und schloss Turnip Boy Commits Tax Evasion endgültig in mein Herz. Ganz gleich, welch schwieriger Gegner seinen Tod wollte, Rübert reckte sein Erdschwert in die Höhe und kassierte die Hiebe auf seine wechselnde Kopfbedeckung.

Gemäß dem eigentlichen Zweck einer Quest, der inneren Reifung des Helden, verwandelte ich mich zwar nicht in den barmherzigen Samariter, aber in einen für die Gerechtigkeit Kämpfenden. Dabei war es manchmal gar nicht das Schwert, das meinen Sieg sicherte. Eine gewisse Gießkanne hat sich als sehr nützliche Waffe erwiesen! So findet mein Weg zur Erkenntnis ein versöhnliches Ende. Statt in Turnip Boy Commits Tax Evasion allzu viel Sinn zu suchen, habe ich mich auf den wilden Ritt eingelassen. Und deswegen entschieden, Merkmale und Makel gleichermaßen zu genießen. Es war stets mein Anspruch, dem kleinen Kunstwerk von Snoozy Kazoo gerecht zu werden, doch musste ich meine eigenen Ansprüche dafür erst ablegen. Nur so konnte ich wahrhaft (radioaktiv) erleuchtet werden.

9/10 🥕 ⚔️

Developer: Snoozy Kazoo
Publisher: Graffiti Games
Genre: Action-Adventure
Team: Yukon Wainczak (Programming, Design), Jennifer Kindl (Design), Jordan Kegler (Marketing)
Musik: James Currier, Ryan Borbone
Auszeichnungen: Challenge Winner (MassDiGI Digital Games Institute 2020)
Veröffentlichung: 22. April 2021 (Steam, Switch)

Redakteurin | + posts

Die Naturwissenschaftlerin von WLTW. Sie recherchiert alles, was im Entferntesten nach Informationen riecht. Weil ihre Kreativität im Studium zu kurz kommt, hat sie Indie Games für sich entdeckt, am liebsten Point-and-Clicks. Aber im Prinzip kann man sie für alle Puzzler, RPGs oder Lebenssimulationen begeistern.

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