In Little Nightmares II machen sich Mono und Six gemeinsam auf, die Geheimnisse rund um den ominösen Funkturm zu lüften.
Angefixt von den hübschen Thumbnails und Screenshots, hatte ich mir den ersten Teil von Little Nightmares schon etliche Male angeschaut, um ihn dann mit einem „Nä, ist nix für mich, ist ja Horror“ wieder ganz tief in der digitalen Schublade zu vergraben. Ich bin kein geeigneter Kandidat für das Horror-Genre. Ich erschrecke mich nicht gerne. Ich schwitze und presse jede Stelle meines Körpers zusammen, die zusammenpressbar ist – in der ständigen Angst, dass jeden Moment etwas passieren könnte. Deswegen waren meine WTLW-Kolleg_innen auch etwas perplex, als ich ihnen plötzlich von dem kleinen Mädchen im gelben Regenmantel vorschwärmte. „Ist das nicht ein bisschen düster für dich?“ Ist es. Warum ich meine Entscheidung trotzdem keine Sekunde lang bereut habe? Erfahrt ihr nur, wenn ihr ein paar Minuten Zeit mitbringt und Bock auf einen Little Nightmares II Lobgesang der Extraklasse habt.
Mono und Six – Gemeinsam gegen fiese Monster
Wer bist du, und warum liegt hier eigentlich ein klobiger Röhrenfernseher im Wald rum? Keine Ahnung, aber willst du mir vielleicht…auf meinem mysteriösen Abenteuer zur Seite stehen? So oder so ähnlich könnte der erste Dialog zwischen dem von uns gesteuerten Helden Mono und seiner Begleiterin Six, die wir schon aus dem ersten Teil kennen, abgelaufen sein. Wenn sie denn sprechen würden. Aus dem Fernseher stolpert Mono direkt in sein Abenteuer. Als wir Six wenig später finden, trägt sie keinen gelben Regenmantel. Eingesperrt in einem dunklen Raum, dreht sie an der Kurbel einer kleinen Spieluhr, deren Melodie sich direkt in unser Hirn brennt. Obwohl Mono sie aus ihrem Gefängnis rettet, möchte sie ihm zunächst nicht vertrauen. Doch schnell wird klar, dass sie einander brauchen, um zu überleben, den Monstern zu entkommen. Und ihr Ziel zu erreichen: Herauszufinden, was es mit dem riesigen, in weiter Ferne rot aufflackernden Funkturm auf sich hat.
Dass wir in Little Nightmares II zu zweit unterwegs sind, stellt sich als äußerst nützlich heraus. Immer, wenn ein Fenstersims zu hoch oder eine Türklinke unerreichbar ist, eilt Six herbei und hilft mit einer Räuberleiter nach oben. Müssen wir über eine Kluft springen, streckt sie helfend die Hand entgegen. Gegenleistung erwartet sie dafür selten. Zwar öffnen wir hier und da eine Tür für sie, ansonsten kommt Six aber gut alleine zurecht und steht uns nicht im Weg. Ist sie mal nicht schnell genug, können wir sie an die Hand nehmen und hinter uns herziehen, was extrem niedlich aussieht. Anders als die Stimmung des Horror Games – die ist nämlich noch düsterer als im ersten Teil. Das mag daran liegen, dass die Grafik sich in den vier Jahren, die zwischen den beiden Teilen liegen, von sehr gut auf bombastisch gesteigert hat. Außerdem sind die Locations vielfältiger und werden wirklich jedem Alptraum-Szenario gerecht.
Little Nightmares II spielt mit Grundängsten und macht Horror erträglich
Allen voran: Die Schule. Die Lehrerin, die wir dort antreffen, hat einen so langen Hals, dass ihr schwer zu entkommen ist. Und ich wette darauf, dass jeder von euch beim Anblick der creepy Frau mit dem stabilen Nacken sagt: „Ey, die kenn ich doch! Genau so sah meine Grundschullehrerin aus!“ Auch die Schüler sind nicht ganz ohne. Die „Bullies“, die nicht nur Mono herumschubsen, sondern auch Six entführen, haben es faustdick hinter den Ohren. Nur dazwischen haben sie nicht so viel. Das habe ich herausgefunden, als ich ihnen nach der Entführung meiner kleinen Freundin hemmungslos mit dem Hammer den Schädel zerschmettert habe. Und der war, zu meiner persönlichen Freude, nur aus Porzellan. Kein ekelhaftes Blutgeschmiere, keine herumfliegenden Hirnfetzen. Danke Spiel. Neben der Schule dienen auch ein Krankenhaus und eine Stadt als Kulisse, die von einem ominösen Fernsehprogramm besessenen, deformierten Personen bewohnte ist. Alles Orte, die keine guten Gefühle hervorrufen.
Warum kann ein Schisser wie ich von einem düsteren Horror-Game wie Little Nightmares II so begeistert sein? Weil der Horror so subtil ist. Wie schon bei den Orten deutlich wurde, haben die Entwickler_innen von Tarsier Studios hier mit kindlichen Grundängsten gespielt, mit Szenerien, die klischeehaft gruselig sind. Während unserer Reise wird Mono immer wieder von herumstehenden Fernsehgeräten angezogen, die ihn einsaugen und einen dunklen Gang entlangführen. Hier können wir uns nicht mehr normal bewegen, sondern waten so langsam umher, dass wir kaum von der Stelle kommen. Der Klassiker eines jeden Alptraums: Wir wollen weg, können aber nicht. Die düstere Grundstimmung, die detailliert gestalteten Monster – klar war ich an einigen Stellen angespannt, aber ich war auch viel zu fasziniert, um nicht trotzdem weiterspielen zu wollen. Alles ist schön und dabei so schrecklich – zum Beispiel die abgefallene Hand, die wie eine Art Spinne umherkrabbelt und uns eklig flink und wuselig verfolgt.
Mindblowing Story, die ihr selbst genießen müsst
Was machen wir mit solchen Gegnern? Mit dem Hammer draufzimmern, kennen wir ja schon. Generell müssen wir uns in Little Nightmares II auf mehr Action einstellen als im Vorgänger. Meine größten Feinde waren hierbei: Timing und Steuerung. Das Horror Game erwartet ein fast peinlich genaues Timing, wann wir den Hammer schwingen, um unsere Gegner zu erwischen. Auch in Szenen, in denen wir fliehen müssen, muss meist alles auf die Sekunde genau stimmen. Ein falscher Schritt und wir landen im Schlund unseres Feindes und müssen die Sequenz erneut beginnen. Beim Springen hat mir die Perspektive zu schaffen gemacht. Keine Ahnung, wie oft ich voller Selbstbewusstsein genau neben mein Zielobjekt gesprungen und in die Tiefe geplumpst bin. Einfach nur, weil ich die Entfernungen falsch eingeschätzt habe. Rätselpassagen sind in Little Nightmares II weniger frustrierend: Alles ist machbar, einiges ein bisschen knifflig, aber nie empfand ich eine Lösung als unlogisch oder unfair.
Vielleicht wundert ihr euch, dass ich euch relativ wenig von der eigentlichen Story erzählt habe. Der Grund ist einfach: Ich traue mich nicht. Ich habe einfach zu viel Angst zu spoilern und euch diese mindblowing Momente zu rauben, die ich während des Spielens erleben durfte. Deshalb empfehle ich, euch vor dem Spielen so wenig wie möglich spoilern zu lassen. Gegen Ende des Spiels dachte ich original drei Mal: Ok das ist das perfekte Ende – Spiel, stopp jetzt! Und es ging weiter. Und es wurde besser und noch einmal besser. Noch nie habe ich mich im Nachhinein so intensiv mit der Story eines Spiels beschäftigt, mir Theorien dazu angeschaut und mit meinem Freund darüber diskutiert. Noch nie habe ich so viele Screenshots von einem Spiel gemacht. Wäre ich nicht ständig von irgendwelchen Monstern verfolgt worden, hätte ich am liebsten jedes Objekt einmal aufgehoben oder mich in den grandios animierten Wasserreflexionen verloren.
Langsam, knarzig, gruselig: Little Nightmares II öffnet Türen
Ich weiß jetzt, dass ich mich nicht von den Schubladen in meinem Kopf einschränken lassen sollte. Horror wäre für mich nie infrage gekommen. Für Splatter-Fans klingt es vielleicht lächerlich, ein Spiel wie Little Nightmares II als ernstzunehmenden Horror zu bezeichnen. Schließlich fließt kein Blut und die Jump-Scares halten sich auch in Grenzen. Für mich aber war das ein Schritt, der mich Überwindung gekostet hat.
Auch wenn ich natürlich wieder geschwitzt und manchmal kurz aufgeschrien habe, hat sich der Schritt aus meiner persönlichen Komfortzone für mich gelohnt. Und vielleicht auch Türen zu anderen Genres geöffnet, die ich bisher mit einem angewiderten oder gelangweilten Gesicht einfach aus Prinzip abgewunken habe. Auch wenn ihr Horror-Spiele nicht mögt: Gönnt euch Little Nightmares II. Und falls ihr Horror-Spiele liebt: Gönnt euch verdammt nochmal Little Nightmares II, Little Nightmares, das mobile Game Very Little Nightmares, den Comic und alles, was zu dieser Welt dazugehört.
10/10 📺
Developer: Tarsier Studios
Publisher: BANDAI NAMCO Entertainment
Genre: Horror-Adventure
Team: Per Bergman, Gustaf Heinerwall, Dennis Talajic, Viktor Lidäng (Directors), Ernst Ten Bosch, Henrik Larsson, Paul Allen, Petra Pinho (Producers), Hilda Lidén, Andreas Palmgren (Designers), João Xavier, Peter Akrill, Joel Jansson (Programmers), Per Bergman, Kristofer Ling (Artists), David Mervik (Writer)
Musik: Tobias Lilja
Veröffentlichung: 11. Februar 2021 (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Der Noob von WTLW. Sie kennt sich in der Gaming-Welt nicht so gut aus wie ihre Kolleg_innen, lernt aber gerne dazu. Klassisch mit “Die Sims” in die Gaming-Szene eingestiegen, spielt sie heute am liebsten Adventures, Platformer und Puzzle-Games. RPGs sind auch okay – aber nur, wenn sie schön aussehen.