In Timelie könnt ihr endlich das machen, was ihr euch schon immer gewünscht habt: Nach einem Fehler die Zeit zurückdrehen.
Am 25. Oktober 2020 werden die Uhren wieder auf die Winterzeit umgestellt. Ich sag’s euch nur schonmal – kleiner Servicebeitrag von mir. Früher habe ich meine Mama immer nur gefragt, ob ich eine Stunde länger oder weniger schlafen kann. Bis heute kann ich mir nicht merken, wann uns eine Stunde geklaut oder zurückgegeben wird. Die Morgen nach den Zeitumstellungen sind traditionell für mich die einzigen beiden Gelegenheiten des Jahres, zu denen ich den Videotext einschalte. Nur um festzustellen, dass mein High-Tech-Smartphone es auch dieses Mal wieder geschafft hat, sich von ganz alleine an die neue Uhrzeit zu gewöhnen. Warum das Ganze Gefasel von der Zeit? Weil ich im Puzzler Timelie endlich mal in der Lage war, sie vor- und zurückzudrehen, wie es mir gefiel.
Keine Gnade: In Timelie ist volle Präzision gefragt
In Timelie spielt ihr ein Mädchen, das sich in einer Art medizinischer High-Tech-Einrichtung befindet. Überall schwirren Roboter herum, von denen ihr euch nicht erwischen lassen dürft. Passiert das doch, bekommt ihr eins übergebraten, müsst die Zeit zurückdrehen und euch eine neue Strategie überlegen, um zur Tür am anderen Ende des Raumes zu gelangen. Es gibt Roboter, die nur in eine Richtung starren, andere bewegen sich in bestimmten Mustern im Raum umher. Da sie euch nicht hören können, erwischen sie euch nur, wenn ihr direkt in ihr Blickfeld geratet. Im ersten Moment dachte ich: das wird ja ein easy Puzzle-Abenteuer. Wenn ich einen Fehler mache, drehe ich einfach die Zeit zurück und schwupps – kann ich alles wieder gutmachen. Theoretisch stimmt das auch. Eine Zeitleiste am unteren Bildschirmrand gibt euch die Möglichkeit, in der vierten Dimension vor- und zurückzureisen. Dass das Ganze die Spielerfahrung erleichtert, kann ich im Nachhinein aber nicht behaupten.
Denn wenn Timelie eines von euch fordert, dann ist es Präzision. Geht ihr nur einen Schritt zu weit oder biegt eine Sekunde zu früh um eine Ecke, geht schon der Roboter mit dem Knüppel auf euch los. Nach ein paar Leveln zum Eingrooven bekommt ihr einen tierischen Helfer an eure Seite. Eine niedliche rote Katze, die durch kleinere Löcher schlüpfen und die Aufmerksamkeit durch Miauen auf sich ziehen kann. Dadurch werden die Roboter abgelenkt und ihr könnt euch ungesehen aus dem Staub machen. Natürlich lasst ihr Katzi nicht zurück. Da ihr die Level nur im Team meistern könnt, helft ihr euch gegenseitig, unentdeckt durch die erlösende Tür zu kommen. Euer Charakter kann zwar nicht miauen, ein paar coole Skills habt ihr aber trotzdem drauf: Nach dem Einsammeln von Gems könnt ihr kaputte Brücken wiederherstellen, Türen mithilfe von Tastenpads öffnen und später sogar Robotern das Leben aus ihren blechernen Körpern hauchen.
Vor, zurück, vor, zurück – wo bin ich und wer miaut hier die ganze Zeit?
Dass ihr nach jedem Fehlschlag die Zeit zurückdrehen könnt, hat gute und schlechte Seiten. Einerseits ist es super nice, dass ihr keine lästigen Wartezeiten habt und nach einem Fehler direkt zu dem Punkt skippen könnt, von dem ihr neustarten wollt. Meinen Kopf hat das allerdings auch ziemlich matschig gemacht. Ich mag die Herausforderung, aber manche Level fordern für meinen Geschmack schon fast zu viel Präzision.
Ich oute mich: Wenn ich nicht weiterkam, habe ich in einem Walkthrough auf YouTube – sagen wir – Inspiration gesucht. Selbst mit der richtigen Lösung vor Augen habe ich teilweise mehrere Anläufe gebraucht, um das perfekte Timing zu finden. Richtig stressig wird das in den Leveln, in denen euch der Boden unterm Hintern wegschmilzt. Hier habt ihr nur eine begrenzte Zeit, um sowohl Katzi als auch euch selbst sicher an den Robotern vorbei zu manövrieren. Habt ihr das geschafft, ist das Erfolgsgefühl dann aber umso größer.
Düsteres Stealth-Abenteuer mit Suchtfaktor
Obwohl die Hauptfigur und auch Katzi in einem knuffigen Mangastil gezeichnet sind, herrscht die ganze Zeit über eine düstere Stimmung. Das liegt zum einen natürlich an den lästigen Robotern, die hinter jeder Ecke lauern. Aber auch die dunklen Farben und das mysteriöse Setting haben etwas Bedrohliches an sich. Gesprochen wird in Timelie überhaupt nicht. Die Story entwickelt sich nur durch kurze Filmsequenzen und eine Aneinanderreihung von Symbolen. Das hat es für mich etwas schwierig gemacht, Zusammenhänge zu verstehen und der Geschichte zu folgen. Um Spaß an den Rätseln zu haben, ist das aber nicht wirklich von Bedeutung. Doch auch wenn mich die Story zu keinem Zeitpunkt wirklich gepackt hat, hat mich das Ende doch berührt. Das liegt nicht zuletzt am Soundtrack: Während der Puzzle eher mysteriös und zurückhaltend, wird’s am Ende nochmal richtig dramatisch. Mit Kopfhörern ist die Gänsehaut da garantiert.
Die Zeit zurückzudrehen, um Fehler auszumerzen – was wir uns im echten Leben nur allzu oft wünschen, wird in Timelie Wirklichkeit und beschert eine wirklich tolle und herausfordernde Spielerfahrung. Dass die Rätsel teilweise wirklich knifflig sind, sehe ich eher als positiv an. Vor allem, weil ich mich wie die krasseste Einbrecherin gefühlt habe, wenn ich es unentdeckt an den Robotern vorbeigeschafft habe. (Nicht, dass ich in der Branche irgendwelche Erfahrungswerte hätte. Aber ganz bestimmt sind Einbrecher genauso fröhlich, wenn sie mit der PlayStation unterm Arm die Wohnung verlassen.) Ich kann mir vorstellen, dass Timelie auch in einem zweiten Durchgang noch Bock macht und viele Aha-Momente bescheren wird. Jedenfalls bin ich mir ziemlich sicher, dass ich mir noch genauso oft die Haare raufen werde, wenn ich mich noch einmal durch die schwach beleuchteten Gänge kämpfen sollte. Zum Glück habe ich meinen kleinen, roten, flauschigen Fellfreund dabei. Miau!
8/10 🐱
Developer: Urnique Studio
Publisher: Urnique Studio, Milk Bottle Studio
Genre: Puzzle, Stealth-Abenteuer
Musik: Pongsathorn Posayanonth, Aun Jessada
Auszeichnungen: Best Game (Thailand National Software Contest), Best Student Technical Project (Bangkok International Digital Content Festival)
Veröffentlichung: 21. Mai 2020 (Steam)
Der Noob von WTLW. Sie kennt sich in der Gaming-Welt nicht so gut aus wie ihre Kolleg_innen, lernt aber gerne dazu. Klassisch mit “Die Sims” in die Gaming-Szene eingestiegen, spielt sie heute am liebsten Adventures, Platformer und Puzzle-Games. RPGs sind auch okay – aber nur, wenn sie schön aussehen.