Was uns in diesem Jahr an den Bildschirmen hat kleben lassen? Wir präsentieren die besten Indie Games des Jahres 2020.
Es wird ernst! Während die besten Indie Games ihres Fachs zum Teil einstimmig beschlossene Sache gewesen sind, hatten wir in unserem allgemeinen zweiten Teil oftmals größeren Diskussionsbedarf. Groß war die Leidenschaft mit der diskutiert wurde, knatschig am Ende aber niemand, wenn sich ein eindeutiger Favorit herauskristallisiert hatte. Die ganze Welcome To Last Week Redaktion ist nach einer traditionell eher durchwachseneren ersten Jahreshälfte wirklich sehr zufrieden mit dem Indie Gaming Jahr 2020.
Was hat uns ein Lächeln ins Gesicht gefräst, was haben wir unglaublich gerne zusammen gespielt oder eher verkackt? Welche Melodien blieben das ganze Jahr hängen, was drang besonders penetrant an unsere Ohren und welches Game schmeichelte unserem Auge? In welcher Welt und bei welcher Story haben wir mitgefiebert und vor allem, welches Spiel ist das Welcome To Last Week „Indie Game of the Year 2020“? In Teil 2 unserer „Besten Indie Games des Jahres 2020“ schreiben Nina, Tobias, Malte und Benja nun genau über eben jene Spiele in 16 Kategorien. Die besten Indie Games des Jahres 2020:
Am besten zusammen
„Golf with your Friends“
Blacklight Interactive / Team17 (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Wenn es eins gibt, was wir während Pandemie, Lockdown und Social Distancing brauchten und weiterhin brauchen, dann ist das Sport. Vom Sofa aus. Mit ganz vielen anderen, aber bitte ohne echte Nähe. Golf with your Friends ist aber nicht nur großartig, weil es zur absolut richtigen Zeit kam. Ihr könnt zum Real-Life-Minigolf stehen wie ihr wollt: Wenn ihr auf der virtuellen Candy-Bahn den Ball von köstlich aussehenden Keksen abschlagt, um gleich danach an klebrigen Bonbon-Kreiseln fast unmerklich anzuhaften, dann spätestens fangt ihr an Minigolf zu lieben. Für weniger süße Spieler_innen kann auch im Museum oder auf einer Raumstation gegolft werden – Abwechslung gibt es genug.
Was das Sportspiel zu einem unschlagbaren Teamevent macht? Jeder – wirklich jeder – kann mitspielen. Das heißt nicht, dass jeder sich gut anstellt – ganz im Gegenteil eigentlich. Aber genau diese Momente, wenn du deine Mitspieler_innen plötzlich nur noch in abgehackter Schnappatmung in den Audio-Chat gackern hörst, weil sie gerade zum drölfzigsten Mal einen Millimeter NEBEN das Loch geschlagen haben, machen den Spielspaß perfekt. Plant aber bitte ein bisschen Extrazeit ein, denn bis jeder seinem Golfball eine passende Kopfbedeckung ausgesucht hat, kann es schon mal ein bisschen länger dauern. Golfbälle mit Hüten. Noch Fragen? (Nina Weidlich)
Best Feel Good Game
„Spiritfarer“
Thunder Lotus Games (Steam, Epic Games Store, GOG, PS4, Xbox One, Switch, Stadia)
Unser „Best Feel Good Game“ ist ein Spiel, in dem es ums Sterben geht. Genau mein Humor. In Spiritfarer spielen wir Stella. Sie ist der neue Spiritfarer, eine Person, die Seelen während ihrer letzten Zeit irgendwo zwischen Leben und Tod begleitet. Sie alle leben auf einem Schiff, das nach und nach ausgebaut und an die Bedürfnisse der Bewohner_innen angepasst werden muss. Das kostet Zeit und Nerven, denn die Seelen sind mitunter ganz schön schwierige Persönlichkeiten. “Ich will dies nicht essen, das hatte ich gestern schon, ich hätte gern eine neue Zimmerpflanze”, bla bla bla.
Aber wie sollte man Sterbenden ihre Wünsche abschlagen? Also craften, kochen und segeln wir, was das Zeug hält. Und auch wenn sie manchmal nerven, schließen wir unsere neuen Freund_innen ins Herz. Aber der Abschied kommt, immer und unweigerlich. Das ist traurig, aber auch unfassbar schön. So wie der farbenfrohe Comic-Stil, den die Entwickler_innen von Thunder Lotus Games für ihr Spiel gewählt haben. Denn auch wenn der Tod etwas Trauriges ist und auch immer bleiben wird, der Weg dorthin kann richtig farbenfroh sein – und glücklich machen. Achja, und man kann seine Katze streicheln. (Nina Weidlich)
Best Dauerbrenner
„Hades“
Supergiant Games (Steam, Epic Games Store, Switch)
Roguelikes sind von Natur aus auf lange Spielzeiten mit vielen Wiederholungen ausgelegt. Hades treibt uns aber außergewöhnlich lange an. Denn Supergiant Games‘ Ausbruch aus der Unterwelt lässt uns außergewöhnliche Beziehungen pflegen. Egal ob unser treuer Cerberus, die witzige Dusa, oder Sysyphos, in dieser Riege findet jede_r einen Liebling.
Zusammen mit einer Reihe von sehr unterschiedlichen Waffen, vielen Ausbauten für den Palast, der Totenwelt und höchst abwechslungsreichen Umgebungen vom Hades bis zum Elysion, erwarten die Spieler_innen hier Dutzende Stunden Spielspaß. Vor allem der berüchtigte Satz „Nur noch ein Run“ fällt hier nur allzu schnell, sodass Hades die logische Wahl für unseren Dauerbrenner ist! (Tobias Idinger)
Best Representation of Diversity
„Ikenfell“
Happy Ray Games / Humble Games (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Ikenfell wirkt auf den ersten Blick wie das typische Retro-Rollenspiel in Pixeloptik mit frechem Kniff im Kampfsystem, das ich schon so oft gespielt habe. Bis ich die Charaktere näher kennenlerne und merke, dass hier kein einziger Charakter heteronormativ zu sein scheint. Die Figuren sind non-binär, queer, people of color und nichts davon wird explizit in den Vordergrund gerückt, sondern ist einfach Teil ihrer Charakterzeichnung wie es auch ihre Wesenszüge, das Outfit, oder ihre magischen Kräfte sind.
Ikenfell stellt so ein unfassbar diverses Line Up an sympathischen Charakteren auf, die neben der spannenden Suche nach einer verlorenen Schwester auch zahlreiche zwischenmenschliche Konflikte und Liebeleien aufgreift, wie sie Teenager in ihrer Schulzeit nun mal haben. Das RPG erzählt eine unfassbar liebenswürdige Geschichte voller Magie und Coming-of-Age-Dramen, das sich außerdem noch unterhaltsam spielt. Bei diesem Aufgebot an tollen Figuren ist es also nicht verwunderlich, dass der Diversity Award an das Spiel der Happy Ray Games geht. (Malte Küppers)
Best Soundtrack
„Teenage Blob“
Team Lazerbeam, The Superwaks / Superhot Presents (Steam)
Wenn ein Game Soundtrack nicht nur das Geschehen im Spiel gekonnt begleitet, sondern auch in deinen Alltag überschwappt, dann weißt du zumeist: hier wirken ganz besondere Töne. Wenn es ein Soundtrack darüber hinaus aber auch noch schafft, ein wenig deiner völlig versunkenen Musikleidenschaft wieder auszugraben, scheint hier etwas einzigartiges zu passieren. The Superweaks transportieren mit ihrem Emo-Punk nicht nur die Stimmung eines perfekt in Szene gesetzten Musik-Video-Spiels, sie formen Melodien und Gangvocals für die Ewigkeit.
Immer wieder blitzen beim Hören Szenen des nicht-binären Teenage Blobs auf. Lassen dich zurückblicken auf gute Zeiten mit dem Fahrrad, auf dem Skateboard oder auf schwitzige Abende vor der Stage. Sie sagen dir, du bist okay so wie du bist. Wir fühlen mit dir. Team Lazerbeams Teenage Blob und der Soundtrack der The Superweaks sind unzertrennlich. Egal ob du die Vorfreude auf einen Konzertabend im Spiel zelebrierst oder sie dir aus Sehnsucht in den Alltag holst. Der Split aus Videospiel und Album funktioniert immer. Teenage Blob ist nicht nur eines meiner absoluten Lieblingsspiele des Jahres, sondern auch mein absotutes Lieblingsalbum des Jahres. (Benja Hiller)
Best Experimental Game
„Kristallijn“
Gaël Bourhis (Steam)
Kristallijn könnte ohne Probleme auch in den „Short Games“ genannt werden. Nach 10 Minuten sitzt du völlig entkräftet auf der Sofakante und fragst dich, was du da eigentlich gerade erlebt hast. Nur ein paar Minuten länger und du wärst vor Reizüberflutung vorne runtergekippt. In First Person Perspektive schleichst du durch einen verlassenen Club-Komplex, der immer wieder punktuell mit pumpender elektronischer Musik beschallt, aber vor allem nur mit Blitzern des Stroboskoplichts beleuchtet wird.
Immer wieder erscheinen glatzköpfige Tänzer_innen in den Szenerien. Zeit und die Veränderung der Räumlichkeiten vernebeln deine Wahrnehmung. Ein Gefühl von Hilflosigkeit und Grusel stellt sich ein. Vollkommen orientierungslos taperst du durch das Gebäude, bis es irgendwann wieder vorbei ist. Lass die Rolläden runter, setz die Kopfhörer auf und lass dich vom experimentierfreudigsten Spiel des Jahres einlullen. Die nächste Runde sportlicher Ertüchtigung kannst du dir danach mit Schweißperlen auf der Stirn eh sparen. (Benja Hiller)
Best Abstract
„Paradise Killer“
Kaizen Game Works / Fellow Traveller (Steam, Switch)
Okay, damit ich das richtig verstehe: Ich bin eine Privatdetektivin, die auf einer Insel, die das Paradies sein soll, einen Mord aufklären muss, weil angeblich ein Dämon den kompletten göttlichen Rat umgebracht hat, bevor diese die Insel auslöschen und ein neues Paradies eröffnen konnten? Und dabei kann ich jeden Winkel dieser Insel erkunden, die voll ist von neonfarbenen Schildern und Ecken, zwischen denen immer wieder Altare für Blutopfer stehen, ein knallrotes Skelett oder eine Frau mit Ziegenkopf verhören, während überall weitere Hinweise versteckt liegen?
Natürlich, ergibt alles Sinn! Paradise Killer klingt völlig verrückt und ich verstehe nicht, wieso diese Idee so gut funktioniert wie sie es letztendlich tut. Es ist weird, abgedreht und trotzdem fesselnd und sympathisch, weil diese ganzen Elemente so unglaublich stilsicher ineinandergreifen. Die Kaizen Game Works sind mit ihren verrückten, abstrakten Ideen ein Risiko eingegangen, das sich ausgezahlt hat und liebend gerne mit unserem Award belohnt wird! (Malte Küppers)
Most Innovative Game
„The Longing“
Studio Seufz / Application Systems Heidelberg (Steam)
In The Longing besitzt du genau eine Aufgabe. Den König des gewaltigen unterirdischen Reichs wieder aufwecken – in 400 Tagen. Tage in Echtzeit wohlgemerkt. 400 Tage im Spiel gleich 400 Tage auf Erden. Während die versammelte Videospiellandschaft dich mit Aufgaben zuschmeißt, lässt dir Studio Seufz vollkommene Freiheit. Du kannst den Tag mit deinem lieblichen Schattenwesen verbringen, das Höhlensystem erkunden oder einfach nur dasitzen. Du kannst Bücher lesen, malen, musizieren oder einfach nur das Spiel abschalten und warten bis die 400 Tage vorbei sind.
Ob du dann den König weckst? Deine Sache. Doch während des Spielens entsteht eine Bindung, Themen der Einsamkeit, der Isolation tauchen auf. Sehnsüchte, aber auch Ängste wachsen in dem kleinen Schatten. Plötzliche Selbstbestimmung oder doch nur weitere Abhängigkeit? So viele Fragen die wachsen, so viele Themen die aufkommen, so viel Freiheit, so viel zu tun und aber irgendwie auch nicht. Gerade die Entschleunigung, die pure Langsamkeit ist es, was The Longing so innovativ und einzigartig macht und dich damit noch lange beschäftigen wird. (Benja Hiller)
Best World Building
„Cloudpunk“
ION LANDS (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Wenn ich in eine Cyberpunk-Welt geschmissen werde, habe ich meist die Rolle eines Underdogs, der sich gegen das System stellt, eine Verschwörung aufdeckt oder direkt die Welt rettet. In Cloudpunk bin ich eine einfache Transportfahrerin, die Lieferungen ausfährt. Das bietet natürlich eine Vielzahl von Möglichkeiten, unterschiedlichsten Charakteren mit unterschiedlichsten Geschichten zu begegnen, die der Stadt Nivalis ein Gesicht gibt.
Städte leben vor allem von den Menschen in ihr und den Geschichten, die diese Menschen erzählen. Cloudpunk ist sich dessen bewusst, führt mich zu genau diesen kleinen und großen Erzählungen, so dass ich einen guten Eindruck von den elementaren Problemen der Stadt, aber auch von den Wünschen und Ängsten der Bevölkerung bekomme. Das Berliner Studio ION LANDS baut damit die für mich interessanteste Videospielwelt des letzten Jahres, durch die ich gerne spazierte und fuhr, um wirklich jeden Winkel und jeden versteckten Dialog zu entdecken, um gänzlich in Nivalis zu versinken. (Malte Küppers)
Best Gameplay
„Disc Room“
Terri Vellmann, DoseOne, Kitty Calis, Jan Willem Nijman / Devolver Digital (Steam, Switch)
Ein simples Konzept, dessen Flexibilität für maximalen Spielspaß sorgt, kennzeichnet die Philosophie des Designs in Disc Room. Lasst euch nicht täuschen vom rasanten Treiben in dieser Actionperle. Denn Zugänglichkeit und Anpassung an alle Bedürfnisse wird hier ernst genommen. Einzelne Räume sind in Sekunden zu bewältigen, doch das Spiel zu meistern dauert Stunden.
Das Konzept der abwechslungsreichen Settings und Aufgaben garantiert Kurzweiligkeit, sodass die mehr als 100 Tode, die ihr in einem Durchgang sterben werdet nicht mal wirklich frustrierend sind. Action und Geschicklichkeit werden in Disc Room herunter destilliert auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dieses Spiel kann fordern oder aber einfach als kurzer Spaß zwischendurch dienen. Disk Room punktet mit Flexibilität. Schnörkellos und mit frischen Ideen, fräst sich Disc Room zum Best Gameplay Award! (Tobias Idinger)
Best Sounddesign
„Maid of Sker“
Wales Interactive (Steam, PS4, Xbox One)
Ich stehe in einem dunklen Raum und scheine im Kreis zu laufen. Keine Wände, keine Türen lassen sich finden. Doch aus einer Richtung höre ich Geräusche. Ich folge ihnen, bis sie plötzlich verstummen und links von mir erneut erklingen. Nur durch mein Gehör geleitet finde ich den Ausgang aus diesem verfluchten Zimmer und stehe wieder in diesem gruseligen Hotel, das an allen Ecken und Enden knarzt, quietscht und poltert, während leiser, walisischer Gesang durch die Flure hallt.
Ich befinde mich mitten in Maid of Sker, einem Survival-Horror-Spiel, das in puncto Sounddesign ganz groß aufzutrumpfen weiß und den dazugehörigen Award mit Leichtigkeit einheimst. So nervig die plump umherwandernden Sackgesichter (sie tragen wirklich Säcke als Masken) im Hotel als Feinde auch sein mögen, die Geräuschkulisse, die mit ihnen einhergeht, hat mich sofort in seinen Bann gezogen und bis zum Ende des Spiels auch nicht mehr loslassen können. (Malte Küppers)
Best Artstyle
„art of rally“
Funselektor (Steam)
Selbst wenn kein Benzin deine Adern durchflutet, du nicht mit einer Tasse Diesel zum Frühstück deinen Tag beginnst oder du deine Motivation nicht an einer Schnellladestation auflädtst. Nahezu jede_r muss zugeben, art of rally sieht verdammt noch mal richtig gut aus. Funselektor kreieren ein stilisiertes, kunstvolles Abbild einer Ära des Motorsports, die heutzutage nicht einmal mehr ansatzweise denkbar wäre.
Wenn Motorsport zur Kunst wird titulierte ich schon in meinem Special über die Besonderheiten, die das Rennspiel so außergewöhnlich erscheinen lassen. Wo Low Poly Design auf markante, ikonische Boliden trifft, wo Elche durch blühende Blumenwiesen ziehen, der feuerrote Ball am Horizont verschwindet, um den Leuchtturm in ein wärmendes Licht zu hüllen. Dort wo Bauklötzchen Enthusiast_innen aus dem Weg hechten und wild gewordene Maschinen, die liebliche Szenerie durchwühlen, genau dort, in dieser eigenartigen Zusammenkunft entsteht Kunst. (Benja Hiller)
Best Storytelling
„Welcome to Elk“
Triple Topping (Steam, Xbox One, Xbox Series X|S)
Willkommen auf Elk – der Insel, auf der Freud und Leid ganz nah beieinander liegen. Die junge Frigg will eigentlich Tischlerin werden, stattdessen wird sie Freundin, Seelentrösterin, ja sogar Bestatterin. Denn auf Elk stehen Schicksalsschläge auf der Tagesordnung. Jeden Morgen wartet eine neue, tragische Geschichte auf uns. Das Besondere: Jede dieser Geschichten ist echt. Von echten Menschen erlebt, manchmal sogar von echten Menschen erzählt.
Und auch wenn die Geschehnisse oft traurig sind, die Bewohner der Insel Elk sind es nicht – zumindest nicht immer. Auf spielerische, übertriebene und manchmal auch absurde Weise lernen wir Menschen und ihre tragischen Lebensgeschichten kennen, die bisher unerzählt geblieben sind. Würdelos ist das Ganze trotzdem nie. Genau deshalb finden wir, dass Welcome to Elk des dänischen Indiestudios Triple Topping die Auszeichnung für das beste Storytelling mehr als verdient hat. (Nina Weidlich)
Best Story
„Chicken Police – Paint it RED!“
The Wild Gentlemen / HandyGames (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Was ist nötig, um aus einer Kriminalgeschichte nach alter Schule eine Erzählung zu zaubern, die dem Genre frischen Wind einhaucht? Augenscheinlich reicht es, allen Figuren der Geschichte einen Tierkopf auf die Schultern zu setzen und darum eine komplett eigene Welt zu stricken. Chicken Police – Paint it RED! erzählt uns die Geschichte der beiden Hähne Sonny Featherland und Marty McChicken, die sich tief in die Unterwelt ihrer Heimatstadt Clawville begeben.
So sehr ihr Abenteuer dabei fast schon eine Checkliste alter Krimis abhakt, rätseln wir als Spielende die ganze Zeit mit, was die Antwort auf einen mysteriösen Mord sein könnte und lassen uns mitreißen von einer Ermittlung, deren Dialoge und Charaktere nicht skurriler sein könnten. Chicken Police holt sich unseren Award mit einer Geschichte, die Lust auf mehr macht. So ist ein kleiner Schauer von Wehmut nicht verwunderlich, wenn die Credits laufen, könnten wir uns doch direkt schon in den nächsten Fall stürzen! (Malte Küppers)
Best Game for Impact
„Tell me Why“
DONTNOD Entertainment / Xbox Game Studios (Steam, Xbox One, Xbox Series X|S)
DONTNOD Entertainment verstehen es gesellschaftlich relevante Themen sensibel in eine nachvollziehbare Geschichte und eine authentische Welt zu verpacken. Oft thematisieren sie Umstände, die gerade in der Videospielbranche, aber auch abseits dessen, kaum Sichtbarkeit erlangen. Missstände werden adäquat eingewoben aber nicht von oben herab oder mit erhobenem Zeigefinger behandelt. Und doch, das eine, alles überschattende Thema gibt es nie. Viel mehr werden Charaktere dermaßen vielschichtig dargestellt, dass deren Bedürfnisse und Probleme immer in einem breiteren Zusammenhang stehen. Und genauso außerordentlich bedacht ist es auch in Tell Me Why geschehen.
Auch wenn DONTNOD einen transsexuellen Protagonisten integrieren, bedeutet das nicht, dass sich das ganze Erlebnis um dieses Thema dreht oder gar nun mit sensationsgier ausgeschlachtet wird. Sie schaffen Sichtbarkeit in einem Umfeld der Normalität. Vielmehr wird dieser Umstand einfach eingewoben in eine Mystery-Geschichte um mentale Gesundheit und dessen Auswirkungen. Ein breiter, äußerst sensitiver Blickwinkel entsteht. Und genau das ist es, was Tell Me Why von anderen Spielen abhebt. Sensibilität, Authentizität und Originalität. Damit ist DONTNODS Dreiteiler als Vorbild für Repräsentation beispielloser. Ein gesellschaftlich wertvolles und einflussreiches Werk für Spielende und Gaming-Branche. (Benja Hiller)
Best Indie Game of the Year
„Through the Darkest of Times“
Paintbucket Games / HandyGames (Steam, PS4, Xbox One, Switch, Android, iOS)
88 Jahre sind nach der Machtergreifung Adolf Hitlers bald vergangen. Fast gruselig, dass genau diese Zahl es ist, die in diesem Jahr nun stellvertretend für ein immerwährendes Erstarken des Rechtsextremismus steht. Viel Zeit, um zu vergessen. Gerade auch weil Zeitzeug_innen immer weniger werden und uns nicht mehr selbst von ihren Erlebnissen berichten können. Ein Spiel, das die Auswirkungen der dunkelsten Zeit unserer Weltgeschichte erlebbar und greifbar macht, kann mit seiner Wichtigkeit kaum hoch genug eingeordnet werden. Und genau das passiert in Through the Darkest of Times. Als Organisator_in einer Widerstandsgruppe erlebst du, was es heißt 12 Jahre im Nazi-Regime zu leben oder wohl besser zu überleben. Paintbucket Games wechseln gekonnt zwischen strategischer und narrativer Ebene, um eine Zeit zum Leben zu erwecken, die für uns so absurd weit weg erscheint und uns doch stetig begleitet.
Eine Zeit, in der jedes „falsche“ Wort, jede „falsche“ Tat deinen Kopf kosten kann, wenn du nicht mitschwimmst, die Greuel nicht mittragen willst und kannst. Gerade im Hinblick auf einen stetigen Rechtsdrift auf der ganzen Welt ist ein Spiel, das dieses Thema aufgreift, enorm wichtig. Through the Darkest of Times ist emotional aufwühlend, schwer verdaulich, oftmals unerträglich und damit aber auch so intensiv, dass es zur Zeit kaum eine bessere thematische, narrative und interaktive Alternative gibt. Das perfekte Zusammenspiel aus Story, Art- und Sounddesign, Gameplay, Inszenierung, Wirkung und gesellschaftlicher Relevanz beschert dir ein Erlebnis, das dich so schnell nicht wieder loslässt. Im guten, wie im schlechten. Ein manifestierter Zeitzeuge, der stellvertretend für alle Antifaschist_innen der Welt steht. Gegen das Vergessen! Und genau dieser Fakt macht Through the Darkest of Times zum wichtigsten und besten Indie Game des Jahres 2020. (Benja Hiller)
Autor_innen: Nina Weidlich, Tobias Idinger, Malte Küppers und Benja Hiller