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Disc Room Review | Bullet Hell mit Rasierklingen im All

Disc Room ist ein sauschwerer und kreativer Reflextest, den trotz allem auch Anfänger_innen spielend meistern können.

Man muss Devolver Digital hoch anrechnen, dass sie verrückten Konzepten eine Chance geben. Viele Publisher würden ihre Developer bei derartigen Vorschlägen wohl höchstens schief ansehen. Verdammt, warum sollte eigentlich nicht ein Spiel erschaffen werden, dessen einzige Spielmechanik es ist, Sägeblättern auszuweichen? Dutzende Sägeblätter! Ein Level dauert zwölf Sekunden! Die scharfen Scheiben werden unsichtbar, sind manchmal groß, dann wieder klein. Fleischdiscs fressen mich auf, ich sammle Samen, in denen Atomsprengköpfe versteckt sind! Ergibt keinen Sinn? Ist egal, denn DoseOne und Terri Vellmann haben schon mit Sludge Life gezeigt, dass sie skurril gut können. Für ihr neuestes Werk haben sie Jan Willem Nijman, ehemals eine Hälfte von Vlambeer ins Boot geholt. Ebenfalls dabei ist die Freelancerin Kitty Calis, die schon an Horizon Zero Dawn mitgewirkt hat. Dieses kleine aber besonders feine Team gab mir schon einen Hypekick, bevor ich Disc Room überhaupt installiert hatte und ich wurde nicht enttäuscht!

Rausch der Reflexe und voll im Flow

Die Hintergrundstory ist schnell erzählt: Eine Art Klonastronaut_in dockt an eine Sphäre an, auf der offenbar etwas Wichtiges gesucht wird. Auch Konkurrenz befindet sich auf der Station, deshalb ist Schnelligkeit oberstes Gebot. Doch der Weg ist das eigentliche Ziel in Disc Room, denn die namensgebenden Räume voller Drehklingen machen den ganzen Reiz des blitzschnellen Geschicklichkeitsspiels aus. Eine einfache Levelstruktur führt uns in dem mysteriösen Sphärenkörper von Raum zu Raum. Sobald unsere gelbe Figur den Bildschirm betritt, erscheinen die ersten Kreissägen, welche uns zu Leibe rücken wollen. Manche davon bewegen sich in einem bestimmten Muster, einige sind sogar zielsuchend. Es gibt dutzende verschiedene dieser Discs, die uns nach und nach begegnen. Ziel ist es, eine bestimmte Zeit im Raum herumzulaufen und dabei den sich vermehrenden Klingen auszuweichen. Wenn wir das Zeitziel erreichen, öffnet sich eine Tür zur nachfolgenden Herausforderung.

Ein Level, ein Bildschirm. Fühlt sich oldschoolig an und spielt sich schön arcadig, wobei es meist nur einige Sekunden dauert bis die überdimensionalen Rasierblätter uns zerhäckseln. Dodge’em Up nennt Devolver Disc Rooms Genre in PR-Texten. Ein schöner Neologismus, der eigentlich den Kern der Sache trifft. Damit das Ausweichen nicht eintönig wird, haben wir das ein oder andere Ass im Raumanzug. Je nach Präferenz, dürfen wir so eine futuristische Superkraft wählen, die uns das Katz und Maus Spiel mit den Discs erleichtert. Mein Favorit ist und bleibt die gute alte Zeitlupe, welche das Spielgeschehen auf ein angenehmes Schneckentempo runterfährt. Wo ich einen Moment zuvor noch keinen Ausweg gesehen habe, schiebe ich mich nun komfortabel durch eine winzige Lücke zwischen den stockenden Sägeblättern. Wer will kann die Discs wahlweise auch per Druckwelle abstoßen, einsaugen, oder einen Doppelgänger erschaffen, um sich zu retten.

Disc Rooms Biotope der Klingen

Obwohl die Ausweichorgie von Disc Room locker in Rekordzeit durchgespielt werden kann, erstrecken sich vor uns eine Vielzahl an verschiedener Discwelten. Wo die ersten Räume noch einer faden Raumstation entsprechen, wandelt sich die Umgebung schnell auf radikale Weise. Verdunkelte Rotlichträume, bei denen wir teilweise komplett im Dunkeln tappen, fordern unsere Aufmerksamkeit und Sinne auf außergewöhnliche Weise heraus. In einer späteren Stage stellt sich der Fortschritt nur ein, wenn wir die quadratischen Bodenfliesen der Reihe nach ablaufen, während wir tunlichst die Fliegeklingen vermeiden. Unsere Standhaftigkeit wird in Abschnitten getestet, in denen wir immer in der Mitte des Bildschirms bleiben müssen. Mein absolutes Highlight waren aber die organischen Räume, in denen wir von gefräßigen Antikörpern gejagt werden, die uns wie einen ungewünschten Eindringling entsorgen wollen. Hier wird selbst der Boden zur Falle, wenn sich gefräßige Mäuler unter uns im Sand auftun.

Wie ihr jetzt schon gemerkt habt, dürfen wir uns in dieser ständig dem Wandel unterworfenen Herausforderung niemals zu sicher sein. Gerade wenn ein Raum perfekt durchschaut worden ist, wirft uns das Innere der Allsphäre einen neuen Knüppel zwischen die Beine. Besonders gemein sind die verschiedenen Arten der Klingen in Disc Room. Sie zwingen uns immer neue Taktiken zu probieren und zwischen den Superfähigkeiten zu wechseln. Discs, die zeitweise durchlässig werden, wiegen uns in Sicherheit, nur um sich im ungünstigsten Moment wieder zu manifestieren. Springende Klingen prallen in unberechenbaren Winkeln von den Wänden ab, sodass wir wenig Zeit für einen Ausweichspurt haben. Nur gut, dass wenigstens zeitweise durchgeatmet werden darf, wenn die kryptische Story in Comicschnipseln vorangetrieben wird, nachdem wir einen Torwächter genannten Boss besiegt haben.

Willst du auf Einfach, Normal, oder Schwierig spielen? Ja.

Sagen wir es mal so: Disc Room ist auf den Standardeinstellungen kein entspanntes Unterfangen. Dafür haben die Entwickler_innen ein tolles System erschaffen, bei dem wir die Geschwindigkeit der Discs und die Schwierigkeit der Aufgaben unabhängig voneinander verändern können. Wollt ihr doppelt so schnelle Klingen, aber nur halbierte Anforderungen, um den nächsten Raum zu entsperren? Kein Problem. Keine Lust mehr zu sterben oder Interesse am Zeitlupenstudium einer Disc? Einfach das Tempo auf ein Drittel runterschrauben. Ja ich gebe zu: Auch ich habe den Geschwindigkeitsregler auf 80% gesetzt. In den späteren Räumen hat mir das Dodge’em Up meine Grenzen aufgezeigt und ich habe den leichten Weg gewählt. Für reaktionsschnelle Komplettist_innen bietet Disc Room sowieso noch einen eigenen „Schwierigen Modus“, der nach dem ersten Spieldurchgang verfügbar ist.

Disc Room hat mir einfach Spaß gemacht. Dieser actionreiche Test für die Hand-Augen-Koordination mit seinem satten Comic-Look und den kurzweiligen Leveln ist aufgrund der ausführlichen Einstellungen für alle Spieler_innen zugänglich gestaltet. Für jüngere oder die, die es schlicht nicht sehen wollen, kann die Blutdarstellung gänzlich ausgeschaltet werden. Allzu viel Spielzeit lässt sich jedoch nicht herausschlagen, außer wir sind auf Perfektion aus. Alleine das witzige und ungewöhnliche Rezept reicht aber aus, um bei mir nach schnell erreichten Credits ein Gefühl der Befriedigung zu hinterlassen. Ein unverbrauchtes Konzept, das von fünf Entwickler_innen nahezu fehlerlos umgesetzt worden ist, lehrt uns, dass es auch im anbrechenden Zeitalter der Next-Gen keine 100 Stunden verschlingende Open World braucht, um pures Gaming zu zelebrieren.

8/10 ⚙️

Developer: Kitty Calis, Jan Willem Nijman, Terri Vellmann, DoseOne und Juju Adams
Publisher: Devolver Digital
Genre: Dodge’em Up, Geschicklichkeitsspiel
Veröffentlichung: 22. Oktober 2020 (Steam, Switch)

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