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Afterparty Review | Die heißeste Fete unter der Erde

Die längste Party zwischen Himmel und Hölle findet in Afterparty statt. Und zwar in Luzifers Wohnzimmer.

Erinnert ihr euch noch an meine erste Review? Das war Dude, Where Is My Beer?. Wer die aufmerksam gelesen hat, weiß noch, dass ich Nichttrinkerin bin. Daraus resultiert zwangsläufig, dass ich eine wenig begeisterte Partygängerin bin. Wenn alles um mich herum trinkt, fröhlich und beschwipst wird und schließlich anfängt, den Körperschwerpunkt in der Waagerechten zu suchen, fühle ich mich wie das Alien, das auf der falschen intergalaktischen Versammlung gelandet ist. Kurz: Ich bin ein Fremdkörper auf Partys, der sofort von anderen Besucher_innen als solcher erkannt wird. Entsprechend geschmunzelt habe ich bei jenem Titel namens Afterparty, der mit genau solch einer Fete beginnt. Es handelt sich um eine Abschlussparty, so erfahre ich, bevor sich das Stroboskoplicht zu drehen beginnt und bunte Punkte durch den Raum streifen. Und ich bin gleich mit zwei Personen auf der Party vertreten, dem etwas tapsigen Milo und der taffen Lola, die wie ich nicht trinkt.

Ein bisschen ungläubig lausche ich den Dialogen, die so lebensnah vertont sind, dass ich das Gefühl bekomme, einem Theaterspiel beizuwohnen. Zumal es keine Textboxen gibt. Kleine Sprechblasensymbole ploppen auf, die anzeigen, wer gerade das Wort hat. Aber ich fühle mich nicht zum Zuhören gezwungen, im Gegenteil. Die Tatsache, dass ich nichts lesen muss, saugt mich direkt ein. Zumal Afterparty interaktiv reagiert, je nachdem, wo ich hinlaufe. Ich kann Lola oder Milo steuern, und manchmal wird ein Gespräch getriggert, dem ich lauschen darf. Auf der Party besteht das vor allem aus dem üblichen Smalltalk: Wer mit wem, wie läuft die Schule, der philosophische Nerdtalk… Es ist eine Mischung aus Abiball, High School Party und Kneipenatmosphäre. Der DJ kann leider nur ein Lied spielen, gibt er verlegen zu Protokoll. Ich muss grinsen.

“Oh my God, Milo, we’re dead. We’re fucking dead! We are in hell.” (Lola)

Und dann fahren wir alle zur Hölle. Die Party verwandelt sich schlagartig in eine Bar voller Dämon_innen, die sich über ihren zweifelhaften Reinigungszustand streiten. Ein breitschultriger gehörnter Geselle moniert, sie sollen doch das gute Ponyblut verwenden, und ich reagiere wie Milo und Lola: Was?? Und vor allem: Warum? Der Dämonenchef ist unwillig mir die Fragen zu beantworten, und schickt uns geradewegs in die Verwaltung direkt aus der Hölle. Kein Scherz, da sitzt ein Dämon und stempelt mehr oder weniger geduldig die ankommenden Menschen ab, indem er ihre Namen aufruft. Milo und Lola haben Glück, sie bleiben zusammen, als sich plötzlich der Boden öffnet und sie verschlingt. Auf der Ebene darunter wartet das seltsamste Assessment, das ich je durchlaufen habe. Eine Frage abgedrehter als die andere, und die gelangweilte Dämonin könnte genauso gut auf ihrem Kuli kauen. Milo und Lola begreifen langsam: Sie sind in der Hölle.

Die Erkenntnis kommt nicht allzu überraschend, dafür aber mit leichten Nervenzusammenbrüchen auf beiden Seiten. Glück im Unglück, die üblichen Martern bleiben den beiden erst einmal erspart. Milo und Lola versichern sich gegenseitig, dass es schon einen Ausweg gäbe, da kommt Taxifahrerin Sam ins Spiel. Selbst Dämonin, nimmt sie die beiden in eine Bar mit und schleift sie im gleichen Atemzug durch irgendeinen Kreis der Hölle. Jene Kreise der Hölle sind aus Dantes Inferno entnommen, der in einem gedichteten Epos eine fiktive Reise in eben jene Abgründe beschrieben hat. Auch die Göttliche Komödie genannt, zählt das Gedicht zu den bekanntesten Vorstellungen einer biblischen Hölle. Afterparty zieht das einmal ordentlich durch den Kakao, indem es die folternden Dämon_innen als überarbeitete Beamte und die Hölle als angesagte Partylocation darstellt. Quasi überall treffe ich auf saufende Höllendiener_innen und gemarterte Menschen. Es wird geflucht, gezecht und gefoltert, nicht immer in dieser Reihenfolge.

“Oh God Lola we’re fucking dead and there’s a goooood!” (Milos Erkenntnis angesichts des höllischen Verwaltungsapparats)

Und da drängt sich doch gleich die Frage auf: Warum zur Hölle macht mir das so viel Spaß? Ich, die ich nicht trinke, nicht foltere und nicht feiere, führe mich in Gesprächen plötzlich auf wie Pirat_innen auf Landurlaub. Für’s fröhliche Fluchen gibt es im Übrigen ein Achievement, und ja, ich will das unbedingt haben. Vielleicht ist es die extreme Diskrepanz zu meinem langweiligen Leben, aber ich identifiziere mich direkt mit den hilflosen Freunden, die zusammen aus der Hölle flüchten wollen. Denn ihrer Meinung nach muss ein Fehler vorliegen, sie fühlen sich beide weder tot noch sündhaft. Zumal ihnen keine_r sagen kann, wie sie gestorben sind. Selbst ihre persönliche Dämonin, die sich schnell den Namen Wormhorn einfängt (treffender kann ich diese besessene, überlange, lila-schwarz gemusterte, hyperaktive Handpuppe mit Teufelshörnern auch nicht beschreiben), scheint diese Frage auszulassen und zerrt stattdessen lieber jedes private Detail der beiden ins Scheinwerferlicht.

Obwohl Afterparty einige ernste Themen streift (dazu komme ich gleich), ist der Grundton zum Brüllen lustig. Die Gags sitzen fast alle und die Dämon_innen haben einen derart trockenen Humor, dass ich verstehe, warum die Hölle brennt. Sogar Satan, Luzifer persönlich, der Höllenfürst himself, ist eigentlich ein gechillter Typ in einem coolen Mantel. Er ist der Chef des ganzen Partyrummels und schmeißt die Party aller Partys, für die die Leute Schlange stehen. Daneben sieht jede Schlange auf dem Petersplatz aus wie eine Blindschleiche. Und natürlich kommt es, wie es kommen muss: Lola und Milo müssen da rein, um rauszukommen. Also ganz. Aus der Hölle. Guter Plan! Aber den haben sie tatsächlich, denn Taxifahrerin Sam hat geplaudert und ihnen verraten, dass es einen Weg gibt: Trinkt Satan unter den Tisch. Nicht so einfach wie es klingt, denn der feine Herr lässt sich nicht von jeder/m herausfordern.

“Fourth floor, get the fuck out!” (Dämon in der Rolle als Liftboy)

Seine Bedingungen stellen ein nicht unwesentliches Hindernis dar, aber Lola und Milo sind fest entschlossen, und üben das Saufen schon mal in einer Bar namens Feisty’s („Flamin‘ Fun!“). In der Kette mit wechselndem Angebot an Hochprozentigen trinken sie fleißig von den Cocktails mit den klingenden Namen. Der steigende Pegel macht sich grafisch bemerkbar, das Sichtfeld schwankt wie eine Schaluppe im Seegang. Doch nicht nur das, es ergeben sich auch neue Konversationsmöglichkeiten. Zu den zwei Optionen kommt eine dritte, zugegeben etwas derbe hinzu, die meistens mit etwas Lallen und Gestikulieren einhergeht. Das kann in Gesprächen hilfreich sein, um direkt auf den Punkt zu kommen, aber auch, um auf die Schnauze zu BEkommen. Nicht elegant, nicht eloquent, aber es scheint etwas dran zu sein, dass Betrunkene die ehrlichsten Menschen sind.

Es passiert rund um die Mitte des etwa sechsstündigen Spiels herum, dass sich langsam erste Risse zeigen. Ich bekomme die tonale Änderung nicht auf die Nase gebunden, sondern wittere sie wie der Höllenhund die Blutspur. Afterparty schlägt einen ernsteren Ton an und stellt manches auf den Kopf, ohne seinen Drive komplett aufzugeben. Plötzlich geht es um einen tieferen Sinn, den ich nicht hinter einem Trinkspiel vermutet hätte. Nicht, dass es mir Kopfzerbrechen bescheren würde, aber es ist, als wäre ich in einem von Brechts Stücken gelandet. Vordergründig eine Dreigroschenoper, beobachte ich doch das Psychogramm von Dämon_innen und gefallenen Erzengeln. Dennoch lässt mir das Spiel stets kleine Wahlmöglichkeiten, sodass ich die Zügel in der Hand behalte. Und lasst euch gesagt sein: Sogar in einem Spiel kann ich nicht tanzen und bin unfassbar schlecht in Beer Pong. Dafür kann ich Leute bequatschen, sogar den Höllenfürsten persönlich. Skål!

“I’d swim, but the lava starts hurting if you’re in it too long.” (Dämon, besteigt lieber das Taxi)

Der Feuerschein der Lava, die Neonröhren der Bars und die leuchtenden Augen der Dämonen flackern auf meiner Netzhaut. Afterparty ist wie der sprichwörtliche Zug über mich hinweggebrettert und hat mir ein paar Stunden höllische Unterhaltung beschert. Und es hat mir Material zum Nachdenken gegeben, als die Fete sich dem Ende neigte und das Eis in meinen Drinks geschmolzen war. Ja, Alkoholmissbrauch wird nicht unbedingt verteufelt (ihr seid die Wortspiele gleich los, ich schwöre es), es werden Witze über Serienmörder gemacht und die neun Kreise der Hölle waren eher Dancefloors denn Drangsal. Aber den Höllenritt war es wert. Nach Oxenfree hat Night School Studio bewiesen, dass sie neben Horror auch Humor können. Ich weiß jetzt endlich, wie man es richtig krachen lässt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann feiern sie noch heute.

8/10 😈🍸

Developer/Publisher: Night School Studio
Genre: Narrative, Adventure
Musik: Andrew Rohrmann (scntf)
Veröffentlichung: 29.10.2019 (Steam, Epic Games Store, PS4, Xbox One, Switch)

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