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Essays on Empathy | Zehn Geschichten, ein Portrait

Essays on Empathy von Deconstructeam wählt für ein Spiel einen eher ungewöhnlichen Ansatz.

Ein Spiel entwickeln ist wie ein Buch schreiben. Ich (bisher Autorin von Werken mit weniger als 5 Seiten) überlege hin und her, wäge Ideen ab und entwerfe einen Plot. Und dann lasse ich den Dingen ihren Lauf und es entspinnt sich im besten Falle eine lange oder kurze, aber stringente Geschichte, welche die Leser_innen auf eine Reise mitnimmt. Was aber, wenn ich mehr als eine Idee habe? Wenn ich von verschiedenen Charakteren erzählen möchte, die wie bunte Bauklötzchen nicht in den begrenzten Rahmen eines Romans passen? Nun, dann erzähle ich viele kleine Geschichten und hoffe, dass jede einzelne die Leser_innen gleichermaßen zu fesseln vermag.

Zehn Geschichten aus sechs Jahren

Genau diesen Ansatz wählen die Entwickler_innen von Deconstructeam für Essays on Empathy. Sie vereinen zehn unabhängige Erzählungen in einem Spiel, viele sind bereits auf itch.io verfügbar. Interessant daran: darunter befinden sich zwei Entwürfe, die letztlich zu The Red Strings Club geführt haben, dem letzten größeren Titel des Studios von 2018. Somit wird Essays on Empathy auch die Biografie einer Entwicklung. Zusätzlich zu den bereits bekannten Episoden, die in den Jahren 2015 bis 2020 entstanden, landet auch eine brandneue in der Sammlung. Sie thematisiert die Überforderung der Entwickler_innen im Jahre der Pandemie und ist somit auch eine persönliche Verarbeitung.

Dieses Muster pflanzt sich durch alle Episoden fort. Inhaltlich mögen sie allemal lose verknüpft sein, ihnen gemeinsam sind die schwierigen Thematiken. Beinahe jede Geschichte verfügt über Triggerwarnungen, darunter häusliche Gewalt, Depressionen, Missbrauch und Homophobie. Somit werden die Geschichten keine leichte Kost, doch Deconstructeam zeichnet sich durch genau diese lebensnahen und ernsten Geschichten aus. Ich habe The Red Strings Club gespielt und erkenne den sozialkritischen Tonus direkt wieder. Daher erwarte ich eine Auseinandersetzung mit komplexen Themen. Nicht umsonst heißt die Kompilation also Essays on Empathy, übersetzt „Abhandlungen über Mitgefühl“. Ich freue mich, dass es Entwickler_innen gibt, die sich an solch schwere Brocken heranwagen.

Essays of Empathy bietet mehr als nur lose Fäden

Ich könnte aber auch meckern und sagen: ‚Nur zehn Episoden in einem Spiel zu veröffentlichen, die größtenteils schon bekannt sind, ist das nicht Gelddruckerei?‘ Das wäre voreilig, denn natürlich haben sich Deconstructeam und ihr Publisher Devolver Digital darüber Gedanken gemacht. Deswegen kommt die Sammlung mit einem umfangreichen Bonusinhalt-Paket, das einen Blick hinter die Kulissen gewährt. Darin befinden sich neben Skizzen auch Mini-Dokumentationen, die den bloßen Inhalten einen Kontext verleihen. Damit wird ein Weg beschritten, den ich gerne bei viel mehr narrativen Spielen sehen würde. Oft kommen Skizzen, frühe Artworks und Entwickler_innenkommentare separat in Zusatzpaketen. Hier wird stattdessen ein ganzheitlicher Ansatz gewählt, der die Kunstfertigkeit der spanischen Developer in den Mittelpunkt stellen soll.

Und kunstfertig sind die narrativen Abenteuer nicht nur in ihrer Erzählung, sondern auch in Grafik und Soundtrack. Der entsättigte, pixelige Look hat einen hohen Wiedererkennungswert. Ergänzt wird die Optik mit dem melancholischen Ambient-Soundtrack von Paula Ruiz. Für mich bleibt nur die Frage offen, ob die Kurzgeschichtensammlung den gleichen erzählerischen Sog entwickeln kann wie ihr grandioser Vorgängerroman. Aber ich muss nicht allzu lange warten, bis Essays of Empathy mein Mitgefühl fordert. Schon am 18. Mai 2021 darf ich mich durch sechs Jahre Deconstructeam führen lassen. Publisher Devolver Digital bringt das sorgfältig kuratierte Bündel auf Steam.

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