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Strangeland | Wo im Tod nicht der größte Schrecken lauert

Im Jahrmarkt von Strangeland warten surreale Ängste. Ein Traumland verzehrt sich selbst – aber gibt es ein Erwachen?

Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr morgens aus dem Schlaf schreckt, die nächtlichen Bilder noch plastisch vor Augen? Wenn ihr schweißgebadet nach dem Wecker tastet, der euer einziger Rettungsring aus einer Welt voller unkontrollierbarer Ängste darstellt? In Strangeland geschieht das nicht. Ihr seid gefangen in einer Traumwelt, die euren Tod will. Wenn es denn überhaupt eine Traumwelt ist, denn der namenlose Protagonist verliert langsam den Bezug zur Wirklichkeit. Das Horror-Point-and-Click-Adventure beschwört unsere tiefsten Ängste und zerrt sie gnadenlos ans Licht. Statt auf stumpfen Grusel setzt es auf das langsame Gefühl von Realitätsverlust, das mit dem Verlust des Selbsts einhergeht.

Willkommen in Strangeland, wo der größte Horror von dir selbst ausgeht

Der namenlose Protagonist erwacht, ohne zu wissen, wo er ist. Eine hölzerne Brücke führt über ein bodenloses Wolkenmeer zu einem Schlund, der ihn direkt in den Albtraum führt. Vor seinen Augen springt eine mysteriöse Frau in den Tod, und sie wird es immer wieder tun. Jeder Telefonanruf, jeder Blick in den Spiegel birgt neue Schrecken, denn immer wieder hört der Protagonist seine eigene Stimme, blickt in sein eigenes, grotesk verzerrtes Spiegelbild. Die Dunkelheit frisst diesen Ort auf, und er muss es verhindern. Ein Entkommen ist nur möglich, wenn er den seltsamen Räumen alle ihre Geheimnisse entreißt. Und ich gehe mit ihm.

Schon seit meiner Kindheit bin ich Fan von Horror-Autor Stephen King, insbesondere seiner Der-Dunkle-Turm-Reihe. Dabei konsumiere ich nahezu keine Horrorfilme, ich habe wahnsinnige Angst vor Jump-Scares. Aber die psychologische Spannung, die der Autor aufbaut, fesselt mich, und ich erkenne sie in Strangeland wieder. Insbesondere die Clownsfassade mit aufgerissenem Mund, die wie das hämisch grinsende Zerrbild eines Vergnügungsparks wirkt, weckte Erinnerungen an nägelzehrende Lesenächte. Im Gegensatz zum populären Horror werde ich in den verschiedenen Räumen dieses bösartigen Jahrmarkts nicht stumpf gegen ebenso bizarre wie hirnlose Kreaturen kämpfen müssen. Ich soll sie verstehen und meinen eigenen Weg finden, mit ihnen umzugehen. Die Welt voller Allegorien und Metaphern bietet selbst den Ausweg, hält ihre Weisheit aber hinter Rätseln verborgen. Falls ich, konfrontiert mit allzu kryptischen Botschaften, mal nicht weiterweiß, gibt es ein aktivierbares Hinweissystem.

„And then, suddenly, as I drowned in the darkness, there was a different kind of breathlessness.“ (Entwickler_in via Steam)

Wie für Point-and-Clicks typisch, gibt es auch in dem Horror-Abenteuer von Wormwood Studios Rätsel und sammelbare Gegenstände. Aber statt mich entlang eines linearen Storyverlaufs durch die Geschichte zu ziehen, kann ich selbst entscheiden, wie ich fortschreite. Dazu gehört, dass ich wählen darf, zu welcher Waffe ich greife. Zudem lässt mir das Adventure freie Hand, welche Räume ich erkunde. Und sowohl der Haupt- als auch die bizarren Nebencharaktere sind komplett vertont. Was in anderen Genres ein netter Nebeneffekt sein mag, ist in Horror-Games ein zentraler Punkt. Die Immersion wird durch visuelle und Audio-Reize wesentlich mitbestimmt. Optisch überzeugt Strangeland dank hoher Auflösung, einer Mischung aus gezeichneten Hintergründen und Pixelart-Charakteren auf ganzer Linie. Das Spiel mit Licht und Dunkelheit erinnert mich an jene surrealen Träume, die noch bis ins ruckartige Erwachen mit spitzen Zähnen an mir nagen.

Strangeland ist Wormwood Studios Nachfolger zu Primordia und wird erneut von Wadjet Eye Games gepublisht. Die Entwicklung war vonseiten der Entwickler_innen auch eine persönliche Auseinandersetzung mit dem ureigenen Schrecken. Für sie birgt nicht nur die Dunkelheit Furcht, auch das Licht kann mit falscher Hoffnung trügen. Der Horror, der uns in dieser düsteren Zwischenwelt erwartet, generiert sich aus unseren Urängsten. In logischer Konsequenz liefern die Entwickler_innen gleich einen Kommentar zum Spiel mit, der bei erneutem Durchspielen die Hintergründe, Mysterien und Rätsel erklärt. Bereits am 25. Mai 2021 können wir via Steam und GOG in ein zerrüttetes Innenleben abtauchen und unseren eigenen Weg durch eine Story voller Verlust und Zweifel suchen. Ich hoffe inbrünstig, dass letztlich jede Geschichte ein gutes Ende findet.

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