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Chronicle of Innsmouth: Mountains of Madness Review | Übernatürlicher Rätselspaß

PsychoDev nehmen euch in Chronicle of Innsmouth: Mountains of Madness mit in die schaurige Welt der Geschichten von H.P. Lovecraft.

Seit Pandemiebeginn habe ich mich intensiv mit Lovecraft und seinen Schriften auseinandergesetzt. Das liegt vor allem daran, dass ich begonnen habe, Pen and Paper-Runden mit dem allseits beliebten Cthulhu-Regelwerk anzuleiten. Um gute Abenteuer zu erzählen, habe ich also in viele Geschichten reingeschnuppert, mich mit Monstrositäten und geheimnisvollen Göttern beschäftigt. Dementsprechend stieg meine Begeisterung für Bücher, Filme und Videospiele, die sich ebenfalls der Motive und Ideen bedienten, mit denen Lovecraft seinerzeit das Horrorgenre beeinflusste und prägte. Die Beschreibung des unvorstellbar Übernatürlichen bietet Raum für Schrecken auf einer tieferliegenden psychischen Ebene, die weit über das bloße Zeigen eines Geists oder Ungetüms hinausgeht. Eine Geschichte darauf aufzubauen bereitet mir besonders große Freude. Es führt allerdings auch dazu, dass ich mittlerweile eine gewisse Vorstellung davon habe, wie eine solche Geschichte aussehen kann, wo die Möglichkeiten liegen und wo die Hindernisse. Gerade in einem so narrativen Genre wie dem Point-and-Click-Adventure habe ich also hohe Ansprüche.

Das Ende ist erst der Anfang

Eisige Winde, schneebedeckte Hügel und eine große Entdeckung bilden den Startpunkt von Chronicle of Innsmouth: Mountains of Madness. Als Wissenschaftler sprengt ihr euch zu einer geheimnisvollen Tür, kurz bevor zwei Menschen aus eurer Gruppe von Monstern attackiert zu werden scheinen, die sich im tiefen Eis verbargen. Schnitt. Ihr befindet euch im Hafen von Innsmouth. Keine Forscher, kein Schnee, keine tentakeligen Ungetüme. Nur ein stark angeschlagener Ermittler namens Lone Carter, der ums Überleben kämpft. Wie er in diese Situation kam, hätte uns der erste Teil, Chronicle of Innsmouth, erzählen können. Mountains of Madness ist eine Fortsetzung. Das ist aber halb so wild, Lone Carter nutzt den Beginn des Spiels, um in einer comicartigen Zwischensequenz zu erzählen, wie er in dieser misslichen Lage gelandet ist. Das reicht absolut aus, um der Geschichte zu folgen. Schnell merkt ihr nämlich, dass irgendetwas mit Lone passiert zu sein scheint, dass sich auch seinem Verständnis entzieht.

Nach kurzer Zeit ist er wieder erstaunlich fit und kann sich aus Innsmouth hinausstehlen, um zurück in sein Büro nach Arkham zu gelangen. Doch Zeit zum Ausruhen bleibt nicht. Ein alter Bekannter der Universität meldet sich und verlangt Hilfe bei einigen Nachforschungen. Auch ein brutaler Mordfall landet auf Lones Schreibtisch. Ist es verwunderlich, dass all diese Vorkommnisse auch noch irgendwie zusammenhängen? Und wieso landet ausgerechnet Lone in diesen Verknüpfungen, so kurz nach seinem unheimlichen Abenteuer inklusive erschreckender Begegnung in Innsmouth?
Chronicle of Innsmouth: Mountains of Madness erzählt eine klassische und doch spannende Geschichte rund um Intrigen, Legenden und Grusel, die euch zu fesseln weiß. Dabei nimmt das Erzähltempo ordentlich an Fahrt auf. Die Ereignisse überschlagen sich fast und ständig tauchen neue Informationen und Geschehnisse auf, die einsortiert werden wollen. Hier scheint es einiges an Ermittlungsbedarf zu geben, auch wenn sich manche Erzählstränge unverständlicherweise verlieren.

Chronicle of Innsmouth: Mountains of Madness als Pen and Paper-Point-and-Click

Wenn ich von Ermittlungsbedarf spreche, dann meine ich das auch genauso. Ihr müsst euch darauf einstellen deutlich weniger Rätsel mit Gegenständen und verrückten Kombinationen eben dieser zu lösen. Wichtiger ist es, die richtigen Fragen zu stellen, eure Umgebung zu beobachten und Informationen zu erhalten. Die Gegenstände, die ihr finden und nutzen könnt, sind spärlich gesät. Das lässt Chronicle of Innsmouth: Mountains of Madness nah an eine meiner Rollenspielrunden kommen. Denn auch im Cthulhu-Regelwerk ist die Recherche und das Sammeln von Informationen für die spielenden Ermittler_innen ein großer Teil des Spiels. Dabei mag es gewöhnungsbedürftig sein, manchmal dieselbe Stelle zwei Mal beobachten zu müssen oder eine Frage zu wiederholen, um plötzlich ein anderes Ergebnis zu erhalten. Ist das aber einmal im Bewusstsein verankert, besteht die großartige Möglichkeit, sich einfach von der Geschichte tragen zu lassen, ohne an zu heftigen Kopfnüssen zu verzweifeln.

Hilfreich dabei ist auch, dass jeder einzelne Dialog sowie jede Anmerkung eures Charakters komplett vertont ist. Schade ist nur, dass die Qualität der Tonaufnahmen von Charakter zu Charakter stark variiert. Während Lone Carter als Hauptcharakter wunderbar klar und griesgrämig klingt, wirkt es bei seinen Begleitern so, als hätten sie die Aufnahme über eine Blechbüchse aufgenommen. Wieder andere Charaktere betonen ihre Sätze dermaßen neben der Spur, dass es fast schon komisch wirkt. Mich persönlich hat das selten aus dem Fluss der Geschichte gerissen. Solltet ihr da empfindlicher sein, könnt ihr die Sprachausgabe aber auch ausstellen und einfach alle Texte lesen. So kommt auf Grund der charmanten Optik ein Flair wie bei alten LucasArts-Adventures auf. Das trifft bei mir natürlich einen ganz besonderen Schwachpunkt, waren das schließlich die Videospiele, die mich früher extrem begeistert vor den Bildschirm getackert haben. Soundtrack und Optik wirken komplett wie aus dieser Zeit.

Das Problem mit Lovecraft

Doch trotz dieser wertschätzenden Worte ist es gerade bei Geschichten, die Werke von H.P. Lovecraft als Vorlage nehmen, wichtig, einen kritischen Blick zu bewahren. Lovecraft selbst war nämlich ein überzeugter Rassist, Frauenfeind und Antisemit. Dementsprechend waren auch seine Geschichten nicht frei von diesen Ideologien. Die Furcht durch das Fremde, das Unbekannte, ist ein deutliches Symbol für seinen eigenen Hass. Diese Tatsache darf nie ignoriert werden und muss im Blick bleiben. Ein unkritisches Übernehmen der lovecraftschen Inhalte reproduziert seine Ideologie in den Werken heutiger Zeit. Unbestreitbar ist jedoch auch, wie prägend seine Arbeiten für die zeitgenössische Popkultur sind, weswegen ein völliges Ablehnen seines Einflusses nahezu unmöglich ist. Inspiration aus dieser Welt des kosmischen Horrors zu ziehen, ist daher nicht das Problem, das ich in Spielen wie Chronicle of Innsmouth: Mountains of Madness befürchte. Vielmehr habe ich die Sorge, dass diesen neuen Werken der kritische Blick, die Perspektive der Moderne fehlt.

Ein Knackpunkt, den PsychoDev leider nicht ganz umgehen kann. Wenn ich Geschichten rund um den Cthulhu-Mythos erzähle, versuche ich das Charakterfeld divers zu gestalten. Ich versuche, Menschen, die bei Lovecraft keinen Platz gefunden hätten, Repräsentation zu geben. Das ist mein Ansatz, um nicht einfach die rassistischen Ideen seiner Geschichten zu übernehmen. Es gibt sicherlich noch andere Ansätze und ich bin froh über jede Idee in dieser Hinsicht. Chronicle of Innsmouth: Mountains of Madness ist allerdings alles andere als divers. Im gesamten Spiel sind maximal drei weibliche Charaktere vertreten, die allesamt nur eine kleine Randnotiz bieten. Bis auf eine kleine Zeitreise in orientalische Gebiete ist der komplette Cast weiß. Dass die Gesellschaft 1920 so aufgebaut war, kann ich nicht als Argument gelten lassen. Zum einen ist selbst das eine steile These, zum anderen hat sich jemand diese Geschichte ausgedacht und besitzt demnach auch komplette Freiheit über die Gestaltung der Welt.

Vorsicht vor den großen Alten!

Versteht mich nicht falsch, ich behaupte nicht, dass Chronicle of Innsmouth: Mountains of Madness ein rassistisches Spiel wäre. Wie ihr zuletzt noch in unserem Podcast über Heteronormativität hören konntet, ist fehlende Diversität ein generelles Problem in der Videospiellandschaft. Doch wenn es in einer Geschichte um einen Kult geht, der bedrohlich in fremden Sprachen spricht, dann lassen sich diese Inhalte sehr schnell rassistisch umdeuten. In der Gesellschaft, in der wir aktuell leben, wünsche ich mir einfach etwas mehr Fingerspitzengefühl. So hat zum Beispiel das Spiel Call of the Sea Ende letzten Jahres sehr schön gezeigt, wie Lovecrafts Geschichten in die heutige Zeit übertragen werden können, ohne Kopfschmerzen zu erzeugen, weil eine vielfältige, kleine Erzählung gewählt wurde. So spannend ich also Lone Carters Ermittlungen auch fand, konnte ich beim Durchlaufen der Credits nicht ignorieren, dass ich ein unangenehmes Bauchgefühl hatte. Und das fand ich einfach äußerst schade.

6/10 🐙

Developer/ Publisher: PsychoDev
Genre: Point-and-Click Adventure
Team: Umberto Parisi, Carlo De Rensis, Gianpaolo Greco, Andrea Ferrara
Musik: Umberto Parisi
Veröffentlichung: 23. März 2021 (Steam)

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