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Mundaun Review | Der Teufel steckt im Detail

Die gräulich schattierte Bleistiftwelt von Mundaun schickt dich auf eine unbehagliche Reise durch eine massive Bergwelt.

Es muss in etwa 1991 gewesen sein, als ich als neunjährige für eine Woche mit dem Kind unserer Nachbarn bei deren Bekannten in den Alpen Urlaub gemacht habe. Unsere Mütter haben uns an einem Wochenende hin- und unsere Väter an einem anderen Wochenende wieder zurückgefahren (Oder andersrum? Egal!). Während wir an den Wochenenden mit unseren Eltern das Umland erkundeten und auf Berge stiegen, waren wir unter der Woche oben auf der Bergalm nahezu abgeschottet vom restlichen Leben. Waren die Fahrten mit dem Heulader und das Bauen eines Sommerrodelschlittens noch die Highlights der Woche, ging es die sonstige Zeit vor allem darum die Langeweile irgendwie in den Griff zu bekommen. Und wo es plötzlich kaum noch was zu tun gibt und die Ruhe Einzug hält, breitet sich zunehmend ein mulmiges Gefühl im Kopf aus. Jedes Knarzen des alten Gebäudes wird zur Bedrohung.

Dein Geist erhebt simple Strohballen im schummrigen Schein der Dämmerung zu beängstigenden Strohmännern. Weit und breit weder Häuser noch Menschen, geschweige denn Tiere, die sich auch zeigen wollten. Beim Begutachten der Umgebung trefft ihr auf alte verlassene Hütten, die Inschriften aus zackigen Buchstaben tragen. Des Nachts fordern dir unbekannte Geräusche nach plausiblem Ursprung, finden aber doch nur panisch gestaltete Erklärungen. So idyllisch die Berge auch aussehen mögen, diese Monstren haben es faustdick hinter den Ohren. Da half es auch kaum noch, dass Menschen beruhigend auf mich einreden wollten. Der mir unverständliche Dialekt machte es nicht besser. Aber immerhin wusste ich später, was Piefke bedeutete. Nicht nett Leute, nicht nett. Seit 1990 war ich nicht mehr in solch massiven Gesteinsauswüchsen. Geschweige denn über Nacht. Dass ich als kleines Kind überhaupt dort gewesen bin, hatte ich schon völlig verdrängt. Danke Mundaun!

Am Hang Zuhaus

Im First-Person Horror-Adventure Mundaun reist Protagonist Curdin in das namensgebende Bergdörfchen. Als Kind hat er hier einige Zeit verbracht. Nach dem plötzlichen Tod seines Großvaters kehrt er erstmalig als Erwachsener hierhin zurück. Doch hinter all den idyllischen Ausblicken, den malerischen Blumenwiesen und dem freundlichen Schein verbirgt sich etwas altes, etwas diabolisches, das die Bewohner_innen des Dorfes nicht ruhen lassen will. Curdin bleibt also solange, bis er die Zusammenhänge der Vergangenheit ergründet hat und herausfinden kann, was den plötzlichen Tod seines Großvaters ausgelöst hat.
Nicht nur Curdin kehrt also an den Ort zurück, der ihn scheinbar als Kind geprägt hat, auch ich kehre mit ihm über die Serpentinenauffahrt in eine vom Bleistift erschaffene Bergwelt zurück. Zusammen treffen wir auf Rätoromanisch sprechende Bewohner_innen, erkunden die Gegend, suchen nach Hinweisen und schleichen durch Hütten.

Auf unserem Weg durch die Bergwelt – zuweilen begleitet von einem sprechenden Ziegenkopf und einem kleinen, nicht sprechenden Mädchen – finden Curdin und ich tatsächlich Symbole, die mich damals heimgesucht hatten, als ich versuchte in der Ruhe der Berge Schlaf zu finden. Draußen vor dem Fenster seines Großvaters taucht ein lebendiges Strohwesen auf. Ich zucke kurz zusammen als ich es durch das geteilte Fensterchen entdecke. In den Häusern der Alpenregion wurden am Bett Latten mit Nägeln bereitgestellt, die sich die dort Lebenden zur Sicherheit vor den Dämonen der Nacht auf den Bauch legen, um friedlich schlafen zu können. Curdins Augen fallen zu, creepy.
Immer wieder treffe ich auf solche Wesen, die direkt meinem eigenen Geist entsprungen zu sein scheinen. Schwebende Typen, die von Bienen umgeben einen Honigtopf befördern, Weltkriegssoldaten und ein jetiartiges Überwesen wandeln durch die erdrückende Bergwelt. Komme ich in ihre Nähe, atmet Curdin schwer und wird wesentlich langsamer.

Mundaun lebt

Ein System der Angst, das mich zuerst erstarren, in der Folge jedoch umsichtiger agieren lässt. Sehen mich die Wesen, streckt der Protagonist seine Hand aus, Bienen umströmen ihn. Die Strohmänner scheinen ihr vertrocknetes Antlitz auf ihn zu übertragen. Die Sicht verengt sich. In diesen Situationen kann ich mich entweder verziehen und ein Versteck suchen oder mit meiner Heugabel, im späteren Verlauf auch mit einer Flinte, angreifen. Hier schiebt sich allerdings die etwas schwächere Seite von Mundaun in den Vordergrund. Kampfpassagen wirken unpräzise und schwerfällig, ebenso wie das Interagieren mit der Welt. Was in der von mir erlebten Xbox One X Version wohl auch mit an dem Fehlen der Steuerung per Maus liegt. Alles wirkt wie die stille Bergwelt von Mundaun: ein wenig aus der Zeit gefallen. Im Laufe der Geschichte gewöhne ich mich dennoch daran und versuche, den etwas ungelenk agierenden Monstern auszuweichen und sie zu umgehen.    

Gerade im Hinblick auf die Gesamtinszenierung sind solche Makel durchaus zu verkraften. Developer Michel Ziegler hat sich massiv von der Region Grisons in der Schweiz inspirieren lassen. Die Kirche und das Haus von Künstler Giovanni nahezu eins zu eins für seine grotesk anmutende Bergwelt übernommen. Originalität wird mit schweizerischer Folklore, örtlichen Mythen, Geschichten und psychologischem Horror vermengt. Durch die detaillierten Bleistiftzeichnungen, die zuerst auf Papier entstanden und in penibler Kleinarbeit Stück für Stück digitalisiert und auf 3D Modelle und Szenerie gestülpt wurden, erhält Mundaun seine beeindruckende Tiefe. Die Ortschaft atmet Detailarbeit und Herzblut. Und genau das macht am Ende den entscheidenden Unterschied zwischen gut gemeint gruselig und absolutem Unbehagen. Wenn du durch die Bergwelt von Mundaun stapfst, sind es nicht nur die offensichtlich bedrohlich scheinenden Aspekte, es sind die unterschwellig vermittelten atmosphärischen Feinheiten, die das gezeichnete Kunstwerk zum ungemütlichen Horror-Brocken mutieren lassen.

Muss ich da jetzt wirklich durch?

Es ist die stoisch tickende Uhr im spartanisch eingerichteten Haus, es sind die knarzenden Dielen und die quietschenden Türen, die dein Unwohlsein stetig forcieren. Die zu jeder Zeit stimmige musikalische Begleitung von Michel Barengo und die exakt ausgearbeiteten Geräusche von Eric Lorenz, die dich zuweilen gefrieren lassen. Es sind die Momente, in denen du durch die Weiten der Schneelandschaft wartest und hinter dir stumpf gesetzte, stampfende Schritte langsam hörbar an Kraft gewinnen. Mundaun weiß subtil Unbehagen zu fördern, ohne jemals wirklich offensichtlich gruselig zu sein. Eine ruhige unterschwellige Art des Horrors, die dich ständig begleitet, dir den Verstand raubt, aber nie plump erschreckend um die Ecke springt. Ein Ambiente, das seine Spannungsbögen und seine Dramaturgie gewissenhaft aufbaut. Es ist die Begleitung des Bergmassivs, das immer wieder über dich einbricht, Passagen durch seine texturierte Gestaltung enger werden und Weiten unendlich erscheinen lässt. Ein brachial anmutendes Antlitz.

Zur Ruhe kommst du hier wirklich nie. Das liegt besonders daran, dass sich Ziegler gegen Cutscenes entschieden hat. Nie wirst du aus der Immersion, die eigenartige Welt gemeinsam erkunden zu können und Mythen aufzuspüren, herausgerissen. Immer bist du beobachtend, aber aktiv dabei. Mundaun gönnt sich Phasen, in denen es langsam an Details heranzoomt, um weitere Ereignisse auszulösen. Scheinbare Traumsequenzen, in denen sich Vergangenes abspielt, beobachtest du beistehend und aktiv. Es gibt dir ein wenig Kontrolle im Unkontrollierbaren. Und genau das macht Mundaun am Ende so unberechenbar. Gerade in den Momenten, in denen du völlig natürlich vor dem zu Bett gehen noch einmal auf Toilette musst und dich Schritte mit einem immer größer werdenden Schatten heimsuchen. Was habe ich geschwitzt.

Mundaun schürt Ängste auf subtile Weise

Da ist es nahezu egal, ob geschaffene Monster am Ende ungelenk agieren oder in wirklich seltenen Fällen die präzise Richtungsanweisung fehlt. Was zählt ist die Gesamtwirkung. Und die ist verdammt noch mal gewaltig. Die Geschichte nimmt dich mit auf einen Weg ins Dunkel. In eine Welt voller lokaler Mythen und Fiktion. Ziemlich lange bleibt alles im Dunkeln, während du dich zu Fuß und mit deinem Muvel Heulader vom unten gelegenen Dorf über sich massiv ausbreitende Felsfronten bis hin zum verschneiten Gipfel kämpfst. Immer auf der Schwelle zwischen zwei Welten wandelnd. Mundaun erhebt sich gemächlich. Es bindet folkloristische Erzählungen und zieht daraus die Kraft des Unbekannten. Es verbindet pure Schönheit mit beklemmendem Flair. Ein wenig so, als würden neue Bilder durch antike Linsen erschaffen. Mit seinen Bildern kramt es unterdrückte und reale Ängste aus und formt sie zu einer fantastisch frischen Art der Horror-Erzählung.

Wirklich nichts stört dieses optisch geschaffene Kunstwerk. Keine Einblendungen, kein Inventar. Ich weiß noch immer nicht, ob ich Mundaun tatsächlich schon verlassen habe. Vielleicht bin ich dem Dorf auch für immer ausgeliefert. Ich war jedenfalls froh, als ich nach den gelaufenen Credits die letzte Runde mit meinem Hund antrat, wissend meinen Fuß auf den Bürgersteig inmitten einer Großstadt setzen zu können. Ruhigen Gewissens nicht ungeheuerlich vom ungestümen Bergmassiv beeinflusst zu werden. Und doch, hastig blickte ich mich um. Nur um noch einmal sicher zu gehen, dass mich auch ja nicht einer dieser Strohmänner mit seiner Taschenlampe anleuchtet. Lange hatte ich nicht mehr dieses Unbehagen nach einer medialen Horrorerfahrung. Wirklich lange hatte ich manche Ängste längst vergessen. Dank Hidden Fields Bleistiftkritzeleien sind sie wieder da. Nur dieses Mal nicht in Tiroler Dialektform, sondern in Rätoromanisch. Danke Mundaun!  

8/10 ⛰️

Developer: Hidden Fields
Publisher: MWM Interactive
Genre: Psycho-Horror, Horror-Adventure
Team: Michel Ziegler (Story, Art, Programming, Game Design), Eric Lorenz (Sound Design)
Musik: Michel Barengo
Auszeichnungen: Best in Play Honorable Mention (GDC Play 2018)
Veröffentlichung: 16. März 2021 (Steam, PS5, PS4, Xbox Series X|S, Xbox One, Switch)

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