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Under Leaves Review | Wimmelbild ohne Dracula und verlassene Villen

In Under Leaves durchforsten wir wunderschöne Szenerien nach kleinen, versteckten Objekten. Das war’s dann auch schon.

Wimmelbildspiele sind Fluch und Segen zugleich. Einerseits liebe ich das befriedigende Gefühl, wenn ich auf ein Objekt klicke und einer der gesuchten Begriffe am unteren Bildschirmrand durchgestrichen wird: „Historische Goldmünze – Check, Deformierter Totenkopf – Check“ – ihr wisst, was ich meine. Andererseits sind die meisten Vertreter dieses Genres ultimativ trashig und scheinen sich mit vermeintlich düsteren Settings übertrumpfen zu wollen. Wo ein Wimmelbild ist, da ist auch immer ein sehr schlecht animierter Vampir (wahlweise zu ersetzen durch Zombie, Geist, Waisenkind mit creepy Puppe unterm Arm). Und natürlich haben alle ihr Gerümpel auf verlassenen Jahrmärkten, in mit Spinnweben durchzogenen Villen oder dunklen Kellern abgeladen, in denen wir jetzt rumwühlen und vollkommen an den Haaren herbeigezogene Gegenstände herausfischen sollen. Im Grunde ist alles daran furchtbar, aber Spaß macht’s trotzdem. Mir zumindest. Umso überraschter war ich, als ich Under Leaves entdeckte. Ein wunderschönes Wimmelbildspiel – ist das überhaupt erlaubt?

Eichhörnchen sucht Nuss – Wer kann helfen?

Under Leaves ist ein Wimmelbild-Abenteuer der etwas anderen Art. Es gibt weder Dialoge noch eine zusammenhängende Story. Genau genommen gibt es gar keine Story. Unser einziges Ziel ist, Tieren aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen zu helfen ihr Futter oder andere Hilfsmittel, die sie zum Beispiel zum Nestbau brauchen, zusammenzusuchen. Was wir für sie finden sollen, teilen sie uns mittels einer Sprechblase über ihren Köpfen mit. Das Wildschwein möchte Kastanien, das Eichhörnchen Nüsse, der Igel würde sich gerne ein paar Würmer wegschnabulieren. Neben den Waldtieren treffen wir auf Bewohner des Ozeans, des Dschungels oder der Antarktis. Jedes der Gebiete, die wir im Hauptmenü auf einer Weltkarte auswählen können, ist farblich an sein Setting angepasst. Im herbstlichen Wald leuchtet alles gelb-orange, die Unterwasserwelt ist in ein dunkles blau getaucht, den Dschungel zieren grelle Grüntöne. Natürlich sind auch die gesuchten Gegenstände an das Farbspektrum der Umgebung angepasst. Und damit manchmal ziemlich schwer zu finden.

Konnte ich im ersten Level noch ziemlich schnell die fünf gesuchten Blumen für das Papageientrio ausfindig machen, wurde es mit zunehmender Spielzeit immer kniffliger. Die Hintergründe, vor denen wir die Naturbewohner antreffen, sind nämlich nicht nur in einem wunderschönen Wasserfarben-Stil gemalt, sondern warten auch mit ziemlich vielen Details auf. Unter dem Blätterdickicht die eine Nuss zu finden, die sich farblich nur minimal vom Rest unterscheidet, kann ganz schön tricky sein. Natürlich können wir uns auch helfen lassen, wenn es an einer Stelle mal zu sehr hakt. Dazu müssen wir allerdings ein kleines Schieberätsel lösen, indem wir die Kacheln eines Bildes in die richtige Reihenfolge bringen. Und was ist noch nerviger, als mit zusammengekniffenen Augen Zentimeter für Zentimeter des Bildschirms nach einem Wurm abzusuchen? Richtig: Schieberätsel. Ich habe mir jedenfalls immer mindestens zwei Mal überlegt, ob ich nicht doch nochmal überprüfe, wo ich etwas übersehen haben könnte.

Under Leaves bietet vollkommene Entspannung – wenn man es lässt

Was wir von Under Leaves nicht erwarten dürfen, ist Spannung oder ein hohes Maß an Abwechslung. Jedes Level ist gleich aufgebaut, allein die Anzahl der gesuchten Gegenstände und die Umgebungen verändern sich. Und das auch nur bedingt: Sind wir beispielsweise im Ozean unterwegs, begegnen wir auch Tieren wieder, deren Wünsche wir schon erfüllt haben. In jedem Level gibt es mehrere Screens, die wir absuchen müssen. Haben wir in einem Bild (zumindest vermeintlich) alle Gegenstände gefunden, können wir uns in der Welt weiter fortbewegen und weitere Orte erkunden. Insgesamt werden 29 Wimmelbild-Szenen geboten, die sich alle mehr oder weniger schnell durchspielen lassen. Viel länger als zwei Stunden dürfte damit nicht einmal ein kurzsichtiger Maulwurf beschäftigt sein. Darin liegt auch die größte Schwäche von Under Leaves: Es ist an vielen Stellen zu einfach. Für mich als Second – oder manchmal auch Third Screen-Opfer – hat sich dadurch allerdings eine perfekte Beschäftigung für Nebenbei geboten.

Wobei der eigentliche Sinn des Wimmelbildspiels wohl eher in der Entspannung liegt als darin, noch eine weitere Tätigkeit in den Tagesplan zu quetschen. Dafür spricht etwa das absolut stressfreie Spielerlebnis. Den Polarfuchs juckt es nicht, ob wir ihm seine Fische im Rekordtempo oder erst nach einer halben Stunde verzweifelten Herumsuchens servieren. Ganz im Gegenteil laden die Details an vielen Stellen auch zum Verweilen ein – zum Beispiel, wenn die niedlichen Igel-Jungen fast unbemerkt ihre Köpfchen aus dem Bau herausstrecken, nur um kurz darauf zu verschwinden und an anderer Stelle wieder hervorzugucken. An vielen solcher Stellen habe ich mich erwischt, wie mir ein wohliges „Och!“ entwichen ist. Der Soundtrack, der aus authentischen Tiergeräuschen, sanftem Meeresrauschen und hier und da ganz seichten Klavierklängen besteht, sorgt für restlose Entspannung. Natürlich lässt sich Under Leaves nebenbei spielen. Gerecht werden wir dem Erlebnis aber eigentlich nur, wenn wir tief in die Welt des Wimmelbildspiels eintauchen.

Spaß darf auch mal simpel und reduziert sein

Spannung, eine packende Story oder knifflige Rätsel gibt es in Under Leaves nicht. Es wäre aber ungerecht deshalb eine schlechte Bewertung zu vergeben oder sich dem Spielerlebnis ganz zu entziehen. Denn all das möchte das „Gelegenheitsspiel“, wie es beispielsweise bei Steam kategorisiert wird, auch gar nicht sein. Circus Atos haben sich offensichtlich für ein reduziertes Spiel ohne viel Schnickschnack entschieden und den Wert auf Grafik und Sound gelegt, die uns in einen fast meditativen Zustand versetzen. Das mag in Zeiten, in denen sowieso alles langsam, träge und oft langweilig ist, fehl am Platz erscheinen. Ich für meinen Teil habe allerdings selten so viel Spaß an vermeintlich langweiligen Oldschool-Beschäftigungen wie ordinären Puzzles gehabt wie in dieser Zeit, die irgendwie stillzustehen scheint. Wenn ich Under Leaves etwas vorwerfen möchte, dann, dass es sich zu wenig Mühe gibt, mich zum Wiederspielen zu bewegen und mich erneut in seine fantastische Welt einsaugen zu lassen.

7/10 🐿️

Developer: Circus Atos
Publisher: Raindeer Games
Genre:
Wimmelbildspiel
Team: Michal Berlinger (Developer), Bára Podhorská (Graphic Designer), Tereza Korecká Vostradovská (Graphic Designer), Jan Netušil (Graphic and motion designer)
Auszeichnungen: Winner Czech Game of the Year – Best Visual (2017)
Veröffentlichung: 27. April 2017 (Steam, Android, iOS), 25. Februar 2021 (Switch), 05. März 2021 (Xbox One, Xbox Series X|S)

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