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Wintermoor Tactics Club Review | Tabletop und die Macht der Freundschaft

Der Wintermoor Tactics Club versammelt eine Schar von Außenseitern, die mit viel Herz und Verstand ihre Schule retten müssen.

Hunderte Spiele wurden schon gemacht, die auf dem Regelsystem eines Tabletop-Rollenspiels basieren. Egal ob Dauerbrenner wie Dungeons & Dragons und Pathfinder oder Nischenspiele wie Paranoia. An Versoftungen für den Heimcomputer mangelt es uns seit den Achtzigern nicht. Ein Spiel wie Wintermoor Tactics Club durften wir aber bis jetzt noch nicht erleben. In dieser Hommage wird zwar nichts ausgewürfelt, trotzdem dreht sich alles um analoge Rollenspielerfahrungen. Developer EVC und Publisher Versus Evil versetzen uns in ein verschneites Eliteinternat, wo wir uns die kuscheligen Nächte mit dem Erfinden von Charakteren und Geschichten um die Ohren hauen. Im Mittelpunkt stehen dabei feinfühlig ausgearbeitete, menschliche Geschichten.

Kulte und Katakomben

Lust auf eine Runde K&K? Dann melde dich für den Taktikclub im Internat Wintermoor an, wo Freunde des gepflegten Tabletop Rollenspiels auf ihre Kosten kommen. Bei Kulte und Katakomben kannst du deiner Fantasie freien Lauf lassen und gleichzeitig neue Freunde finden. Nur blöd, dass eines Tages der verhasste Rektor der Schule eine wahnwitzige Idee ausbrütet. Er will ein Turnier von Schneeballschlachten veranstalten, bei dem am Ende ein einziger „Ultimativer Club“ als Sieger hervorgehen soll. Die Schüler_innen sind verunsichert und wütend. Hat die private Eliteschule auf einmal nur noch genug Geld für eine außerschulische Aktivität? Die Antwort ist weitaus komplexer und verbindet die Vergangenheit des Rektors mit übernatürlichen Vorkommnissen, bei denen der wachsende Taktikclub seinen Zusammenhalt beweisen muss.

Anfangs besteht der Taktikclub nur aus drei Mitgliedern. Colin ist der Spielleiter, der das Regelwerk auswendig kennt und einen Paladin spielt. Jacob drückt seinen Unmut gegen Autorität in Sprühereien über die aus seiner Sicht faschistische Schulleitung aus und verkörpert in K&K dementsprechend die Klasse des Diebs. Die Protagonistin und das Herz des Wintermoor Tactics Club ist jedoch Alicia. Die empathische Magierin steht im Laufe der Geschichte für kreative Lösungen und Diplomatie. Das Trio erweitert seinen Kader nach und nach, sodass gegen Ende sieben Charaktere zur Verfügung stehen, aus denen wir immer drei für die nächste K&K Partie auswählen. Und auch die Schneeballschlachten im echten Leben der Schüler_innen werden als Tabletop-Kämpfe ausgetragen, bei denen die Kontrahenten_innen in den Augen des Taktikclubs zu allerlei Monster werden.

Stilecht mit Miniaturen

Während wir uns am Campus von Wintermoor mit Alicia frei zwischen mehreren Orten wie der Bibliothek, dem Stadion und dem Hof bewegen, sammeln wir fleißig Nebenquests, die Verbesserungen im K&K Abenteuer versprechen. Dieser dialoglastige Teil von Wintermoor Tactics Club ist immens wichtig für die Atmosphäre, denn die vielen kleinen Geschichten und liebenswürdigen Nebencharaktere erwecken das Internat für mich zum Leben. Da rückt der interaktivere Teil, die Kämpfe in den K&K Kampagnen und die Schneeballschlachten, fast ein wenig in den Hintergrund. Besonders taktisch anspruchsvoll gestalten sich die klein angelegten Scharmützel gegen Dorklinge und Kultanhänger nicht, außer wir schrauben dementsprechend an den stufenlosen Gesundheitsmultiplikatoren für Verbündete und Feinde. Die rundenbasierten Kämpfe sind allerdings immer kurzweilig, da die Optik im Stile eines Spielbretts mit Miniaturen zu gefallen weiß und die puzzleartigen Kämpfe in wenigen Runden vorüber sind.

Highlights sind die Turnierkämpfe gegen andere Clubs. Wenn der Taktikclub gegen den Club der Tierfreunde antritt, so werden die Gegenspieler auf dem K&K Feld zu Schneeleoparden und  Flughunden. Beim Reitclub prescht plötzlich ein mechanisches Kriegsross über die Karte. Durch ihre Erfahrungen im Rollenspiel wenden unsere Held_innen die bekannten Taktiken auf die Schneeballschlachten an und visualisieren das Ganze im Stile einer epischen Fantasyschlacht. Coole Idee! Nachdem ein Club besiegt wurde, werben wir meistens ein Mitglied ab. Zu diesem Zweck schreibt Alicia in ihrem Schlafzimmer nachts eine K&K Kampagne für das neue Teammitglied und bindet dessen Charakter in die Story des Taktikclubs ein. Hier haben wir als Spieler_jnnen die Möglichkeit diese Geschichten mitzugestalten, indem wir Versatzstücke aus mehreren Auswahlmöglichkeiten zusammenbasteln. Eine nette Idee, wenn auch die einzigen Wahlmöglichkeiten im linearen Plot.

Der Wintermoor Tactics Club als Herz der Schule

Mit sieben unterschiedlichen Persönlichkeiten bildet der Taktikclub rund um Alicia eine heterogene Truppe, die sich über das Turnier hinaus unerwarteten Herausforderungen stellen muss. Dabei wird ihnen der Sieg nur sicher sein, wenn sie sich anfreunden und ein unerschütterliches Band aufbauen. Im Kern ist Wintermoor Tactics Club dabei eine Erzählung über Individualität, Selbstakzeptanz und schließlich Selbstbewusstsein. Jede der Figuren kämpft mit eigenen Dämonen, doch in dieser Schicksalsgemeinschaft finden alle ihren Platz. Dabei setzt die Story auf Verletzlichkeit und eine diverse Gruppe an Schüler_innen. Sie thematisiert beiläufig wichtige Themen, die in Videospielen definitiv unterrepräsentiert sind. Mit Avery aus dem Club der Tierfreunde spielt eine nichtbinäre Person mit, während eine Nebenquest die aufkeimende Liebe zweier Mädchen zum Thema hat. In einem Dialog zwischen Alicia und einer älteren Mitschülerin geht es um die Schwierigkeiten, denen sich People of Color an dem Eliteinternat ausgesetzt sehen.

Wenn ich zurückblicke auf das Abenteuer des Taktikclubs, sehe ich eine mit Liebe entworfene Coming-of-Age Story, bei der die Außenseiter_innen zu Held_innen avancieren. Obwohl dabei jedes Klischeeregister hätte gezogen werden können, kommt Wintermoor Tactics Club erfrischend und unverbraucht rüber. Die Schüler_innen sind mir ans Herz gewachsen und obwohl sie den Tag retten, sind sie nichts anderes als Teenager_innen mit Wünschen und Träumen, Ängsten und Sorgen. Als finale Botschaft des Rollenspiels würde ich verlautbaren: Diversität ist unsere Stärke, mit Kompromissen und Empathie lässt sich vieles erreichen. Dass EVC so eine Botschaft authentisch und glaubhaft rüberbringen, zeugt von viel Herzblut und gutem Writing.

8/10 🧙🏾♀️

Developer: EVC
Publisher: Versus Evil
Genre: RPG
Team: Ben Walker (Direction & Programming),  Leo Dasso (Tech Art & Art Lead), Ryan Anderson (Combat Design), Jackie Kreitzberg (Production), Mike Sennott (Music & Writing), Kyla Fury (Writing)
Veröffentlichung: 5. Mai 2020 (Steam), 10. September 2020 (PS4, Xbox One, Switch)

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