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Tamarin Review | Zuckersüße Schale, blutiger Kern

Unter dem Namen Chameleon Games wollen ehemalige Rare-Entwickler_innen mit Tamarin an alte Erfolge anknüpfen.

Vor einiger Zeit konnte ich auf meinem alten N64 meine Sammlung der alten Rare-Klassiker komplettieren. Jet Force Gemini war der letzte Titel, der mir noch fehlte und auch der Titel, der wahrscheinlich die skurrilsten Erinnerungen wachruft. Zwei Menschen und ein Hund ballern sich durch eine Horde riesiger Insekten und versuchen, kleine Ewok-ähnliche Wesen vor dieser Invasion zu retten. Ein verrücktes Konzept, das aber sehr gut die Kreativität und Qualität der Spieleschmiede zu dieser Zeit aufzeigt. Egal, ob nun große Käfer abgeknallt wurden, James Bond einen Fall löste oder ein Bär mit einem roten Vogel um sich schlug, Rare-Spiele waren immer ein Highlight auf dem Nintendo 64. Doch seitdem kamen nur wenige Spiele an den Charme der alten Tage heran. Ein Zustand, den ehemalige Rare-Mitglieder mit Tamarin ändern wollen.

Dem Vorbild treu geblieben

Sobald das Spiel startet und ich meinen kleinen Helden sehe, der in einem idyllischen Wald lebt, geht alles drunter und drüber. Eine Armee brutaler Ameisen fällt in den Wald ein und setzt Dörfer und Lebewesen in Brand. Das kleine Krallenäffchen als Protagonist hüpft in Richtung des Unheils und bekommt dort von einem Igel, der sich aus einem kleinen Hügel hervor buddelt, eine Waffe in die Hand gedrückt. Den fiesen Insekten kann nicht mit hüpferischem Talent begegnet werden. Hier hilft nur noch Waffengewalt. In der Third-Person-Perspektive schleiche ich mich durch Waldstücke und dunkle Höhlen, ziele auf meine Widersacher und zerlege sie mit Schüssen meiner Maschinenpistole in ihre Einzelteile. Mein süßes Tierchen sorgt für ein matschiges Blutbad und herumfliegende Insektenköpfe, um vereinzelte Vögelchen zu retten, die sich in Gefangenschaft der fiesen Krabbler befinden. Sie hüpfen manchmal aus einem Versteck hervor, wenn alle Gegner erledigt sind oder müssen aus kleinen Käfigen befreit werden.

Dabei kommt mir nach unzähligen Stunden, die ich in Jet Force Gemini und Collectathons wie Banjo-Kazooie gesteckt habe, alles irgendwie bekannt vor. Die Gegner sowie die Shooter-Passagen könnten eins zu eins aus Rares Weltraumballerei entnommen sein und einfach einen neuen Skin bekommen haben. Der Igel, der euch mit Waffen versorgt, erinnert stark an Maulwurf Bottles, der den Bären und seine gefiederte Begleitung mit Moves versorgt hat. Und auch die Passagen, in denen ich entspannt die Gegend nach Items durchsuchen kann und mich eher auf das Springen und Klettern fokussiere, erinnern stark an die ersten Level der großen Vorbilder. Tamarin versteckt seine Herkunft also keineswegs, sondern scheint zu versuchen, alte Fans ins Boot zu holen. Ich fühle mich, als würde das Spiel mir an jeder Ecke entgegenrufen: „Hey, Malte, schau mal, das kennst du doch, oder? Genau, sammel das doch mal ein. Das ist genau wie früher!“

Riecht es hier abgestanden?

Dieser komplette Fokus auf altbewährtes führt für mich leider dazu, dass ich an Tamarin nichts erwähnenswert finde. Es ist wie früher, nur bei weitem nicht so ausgeklügelt. Es gibt keine einzige erfrischende Idee, außer, dass ich hier einen enormen Kontrast zwischen übertrieben putzigen Tierchen und den spratzigen Ballersequenzen sehe. Alles andere habe ich so bereits diverse Konsolengenerationen zuvor erlebt, nur deutlich besser und abwechslungsreicher. Tamarin lässt für mich fast jeden kreativen Anspruch vermissen, der mir zeigen würde, dass ein Studio mehr leisten wollte, als sich auf alten Errungenschaften auszuruhen. Ich könnte das sogar verkraften und hinnehmen, wenn sich mein kleiner Primat in einer hübschen Welt gut spielen lassen würde. Getreu dem Motto „Lieber gut geklaut als schlecht kopiert“ kann ich mich durchaus mit fehlendem frischem Wind anfreunden, wenn die altbekannten Mechaniken sitzen und flüssig von der Hand gehen oder mir einfach eine großartig designte Welt vorgesetzt wird.

Tamarin schafft nichts davon. Der Umgebung fehlt es überall an Alleinstellungsmerkmalen. Höhlen und Waldabschnitte ähneln sich oft wie ein Ei dem anderen. Zusätzlich führen mich die labyrinthartigen Strukturen oft in Sackgassen, in denen es nichts zu entdecken gibt. Die Orientierung ist damit eine mittelschwere Katastrophe, die durch ein dermaßen schwammiges Zielen meiner Waffen verstärkt wird, dass ich mehrmals fluchend um mich schlagen wollte. Selbst auf dem alten N64 mit seinem seltsamen Gamepad ließ sich ein Jet Force Gemini besser steuern als Tamarin, das mit zwei Sticks nur ansatzweise hätte funktionieren müssen wie jeder andere x-beliebige Shooter. Tut es aber nicht. Das Fadenkreuz bewegt sich unfassbar träge. Es setzt in den unmöglichsten Momenten ein Lock-On-Feature ein, das mich auf Kisten in der Nähe schießen lässt, aber bloß nicht auf die mich angreifenden Ameisen. Matschige Texturen und enormes Kantenflimmern am Fell meines Äffchens erschweren das Erkennen von potentiellen Zielen noch dazu.

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen

Ich weiß noch, wie sehr ich mich damals gefreut habe, als Yooka-Laylee angekündigt wurde. Die alten Größen hinter Banjo-Kazooie entwickeln ein Spiel, das diesen Charme einfangen soll. Auch dort kam am Ende ein Spiel heraus, das weit entfernt davon war, perfekt zu sein. Aber ich habe witzige Ideen gesehen. Ich habe ein Verständnis davon ausmachen können, warum die alten Klassiker so beliebt waren. Auch wenn es nicht ganz funktioniert hat, diese Elemente in die aktuelle Zeit zu übertragen, gab es eine Vielzahl charmanter Elemente und Figuren, die ich zu schätzen wusste. So etwas habe ich mir auch von Tamarin erhofft, wurde hier aber auf jeder Ebene enttäuscht. Der Trailer ließ mich so hoffnungsvoll werden, ein ähnliches Spiel wie Jet Force Gemini mit neuem Setting und besserer Steuerung zu erleben. Stattdessen wurde aus Tamarin ein uninspirierter Abklatsch mit deutlich größeren Problemen.

Ich versuche gerade verzweifelt etwas zu finden, was ich dem Spiel noch positiv anrechnen kann. Habe nach Interviews gesucht, die mir vielleicht eine weitere Ebene der Entwickler_innen offenbaren würden, um das Gesamtwerk doch noch irgendwie loben zu können. Doch ich konnte nichts finden, das über ein „Hey, wir waren mal bei Rare und wollten sowas wie früher nochmal machen“ hinausgeht. Wenn selbst ein Soundtrack von David Wise unpassend und uninspiriert wirkt, kann Tamarin nicht ansatzweise den hoch gesetzten Ansprüchen der alten Zeit gerecht werden. Am Ende schalte ich meine PlayStation frustriert aus, setze mich lieber wieder vor meine alte Konsole und habe eine gute Zeit mit den grandiosen Vorbildern.

3/10 🙈

Developer/Publisher: Chameleon Games
Genre: Third-Person-Shooter/Platformer
Team: Omar Sawi (Director, Producer); Kevin Bayliss (Concept Art); Richard Vaucher (Concept Art, Animation); Adam Ostridge, Dominikus Reiter (Visual Effects), Christian Schawland, Marius Holstad (Game Design); Graeme Norgate (Sounddesign)
Musik: David Wise (Composer)
Veröffentlichung: 10. September 2020 (Steam, PS4, Xbox One)

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