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Filament Review | Knobeln im Weltall

Das Raumschiff abgeriegelt, die Crew verschwunden. Und du? Mit 300 Rätseln aus leuchtenden Säulen in Filament alleingelassen.

In Filmen sieht es immer so einfach aus. Ein verlassenes Raumschiff betreten, Hinweise zur vermeintlich verschollenen Crew sammeln und mal eben kurz in das System des Schiffs hacken. Gerade letzteres scheint oft nur eine kurze Passwortüberlegung entfernt und schon steht alles zur Verfügung was du brauchst. Dabei sollte ein hochtechnologisiertes Raumschiff doch eigentlich etwas schwieriger zu durchdringen sein und geheime Information oder Zugänge möglichst gut gesichert verborgen bleiben?

In Filament erlebst du das genaue Gegenteil der suggerierten Leichtigkeit. Das Nachvollziehen der Vergangenheit und das mysteriöse Verbleiben der Crew der Alabaster entpuppen sich als langwierige und zähe Aufgaben. Es bringt dich an den Rand deiner Konzentration und deiner Fähigkeiten, während sich Teile der Geschichte nur in krümeligen, nicht satt machenden Häppchen präsentieren. Du bist dir nicht mal sicher, ob du das Geheimnis überhaupt jemals lüften wirst. Zweifel breiten sich aus. Eine nahezu unmögliche Aufgabe, die als einsamer Astronaut so unglaublich anstrengend und frustrierend klingt, aber doch haarsträubend süchtig macht. Über 300 enorm fordernde Rätsel verteilt auf einem zumeist frei begehbaren Raumschiff. Wie zum heiligen Knobelino schaffen Beard Envy das?

Das Vorzeigeforschungsschiff der Filament Corporation

Die Alabaster also. Eines der stolzesten Menschheitsprojekte. Gebaut, um Expeditionen in weit entfernte Gebiete des Universums zu unternehmen. Um geeignete Plätze für außerirdische Kolonien der Erde zu finden. Doch dieses so fortschrittliche Vorzeigeforschungsraumschiff hat nach einer geheimnisvollen Störung eine komplette Abriegelung herbeigeführt. Nun warst du als einfacher Weltraumbummler gerade in der Nähe und dockst als erstes an, um der Abriegelung, der seltsamen Störung und dem scheinbaren Verschwinden der Crew nachzugehen.

Doch dieses Raumschiff ist gar nicht so steril, wie du es anfangs vermutet hattest. Seine schiere Größe wurde mit allerhand Wohnlichkeit aufgepeppt und mit Persönlichkeit versehen. Überall kleine Zeugen des Zeitvertreibs. Sofas, Magazine, Brettspiele, Bücher und Blumen. Bei letzteren fragst du dich jedoch wie sie im künstlichen Licht der Weltraumdunkelheit überhaupt überleben können. Selbst Swimmingpool, Basketballfeld und Arcade-Automaten eröffnen sich bei deinem ersten Rundgang durch die verlassenen Gänge.
Filament zeichnet ein angenehmes, unaufgeregtes Bild des verlassenen Ortes. Hier wirst du nicht vor Anspannung zusammengekauert in der Ecke sitzen. Hier kannst du dich ganz der sachten Erforschung der vergangenen Ereignisse widmen. Ohne Stress, ohne Angst.

Wer hat eigentlich gesagt, es würde leicht werden?

Um also an Informationen zu kommen, musst du Zugang zu Daten erhalten. Also steuerst du auf die nächstmögliche offene Schnittstelle zu und beginnst deine Arbeit. Ein dir unbekanntes System zu infiltrieren kann eben dauern. Es fordert höchste Konzentration. Jede kleinste Ablenkung wird zur Eruption und entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Das Puzzlegame Filament setzt höchste Ansprüche an dein Können. Als visuelle Ebene des Hackens stellt es eine Art reduzierte, kabelgebundene wandelnde Glühbirne dar, die dieses um verschiedene Säulen hin zum Ausgang legen muss, ohne sich den Weg zu verbauen und auf selbiges zu treten. Ein Hauch von Snake weht durch diese komplexen Knobelaufgaben. Nur ohne die Angst mit einem Tritt auf das Kabel die ganze Arbeit zunichte zu machen. Denn deine Aufgabe ist es, eben angesprochene Säulen zum Leuchten zu bringen, ohne dich im Kabel zu verheddern und trotzdem noch den Ausgang betreten zu können. Klingt einfach, ist es nicht!

Vielleicht in den einführenden Level, doch mit jedem Fortschreiten weiten sich auch die von Beard Envy gestellten Anforderungen. Immer mehr Säulen, immer heimtückischere Kombinationen, immer andere Auslegungen. Es gilt Farben zu kombinieren, zusammengehörige Säulen zuerst auszulösen, Geheimtüren zu öffnen, den richtigen Winkel aus der richtigen Richtung zu beachten und den einzigen Weg durch ein schwarz/weißes Labyrinth, hin zur Farbenpracht, hin zur krümeligen Information zu finden.
Hast du eine zusammenhängende Reihe an Säulenkabelrätseln gelöst, schaltet sich plötzlich „Wacholders“, die abgeschottete Pilotin des Schiffs, mit ihrer Stimme hinzu und erzählt dir bruchstückchenhaft, wie das Leben auf dem Schiff war und was eventuell passiert sein könnte. Du bist also doch nicht so allein.

Nur noch dieses eine Rätsel!

Immer wieder bekommst du für gelöste Rätsel auch Registrierkarten, die wiederum Codes für die Offenlegung des Mailverkehrs bereithalten. Langsam liest du dich in die Beziehungen der Crewmitglieder ein. Doch so richtig kannst du der Geschichte nicht folgen. Zu ausgelaugt scheint dein Gehirn nach der Lösung einer Reihe von Puzzeln. Manchmal stehst du mit deiner Lampe für zehn Minuten an einer Stelle, zoomst in die Draufsicht, zoomst wieder zurück, um vielleicht einen unentdeckten Lösungsansatz zu finden. Um das massive Fragezeichen über dir hinwegzupusten. Aus zehn Minuten werden innerhalb eines Teilabschnitts gerne mal 30 Minuten, oder fünf Anläufe. Ein gesamter Abschnitt mit fünf Teilabschnitten dauert dann auch mal zwei Stunden. Was hat die gute Wacholders „eben“ noch mal erzählt? Du weißt es nicht mehr.

Und es ist auch nicht der Reiz, den Filament erzeugt. Die Story um das abgeschottete Raumschiff und die vermisste Crew bildet eine nette Rahmenhandlung. Eine sinngebende organische Ebene. Und vielleicht entfaltet sie erst viel später ihre Kraft. Zur Zeit kann sie das nicht. Mittlerweile hast du knapp zehn Stunden auf der Alabaster verbracht. Neun Stunden und fünfzig Minuten davon entfallen wahrscheinlich auf die eigentlichen Rätsel. Und genau diese sind Beard Envys ganzer Stolz aus cleverem Leveldesign und herausfordernder Rätselmechanik. Unmenschliche Ausmaße von gestellten Aufgaben, die es zu lösen gilt und sie wirken doch so motivierend, so wohltuend, wenn du sie endlich gelöst hast. In diesen Momenten brüllst du mit weit aufstehenden Mund und gereckter Faust über den Bildschirm hinweg in dein ganzes Zimmer. „Ja man! Nimm das verfi…. Filament Corporation!“ Es entwickelt sich ein einzigartiger Rätselsog, der, ob der gigantischen Herausforderung, am Ende so verdammt befriedigend ist.

Filament zieht dich unweigerlich in einen meditativen Rätselsog

Dabei warst du eigentlich der Meinung, dass sich diese leuchtenden Säulen eventuell schnell abnutzen würden, das immer Gleiche innerhalb der Variation und die begleitende Weltraumrätselsymphonie dir den letzten Nerv rauben wird. Doch das ist nicht der Fall. Die Zusammenarbeit aus perfektem Design und betüdelnder Melodie versetzt dich in einen meditativen Rausch, der dir angenehm beratend zur Seite steht. Auch wenn du dir manches Mal bitter fluchend eine winzig kleine Tippfunktion herbeisehnst. Doch das wäre nicht Filaments Ding. Nicht die überwältigende Aufgabe, die der einsame Astronaut mit über 300 Rätseln hier vor der Nase hat.

Beard Envys Filament ist eben nicht der lässige Dude aus den Filmen, der mit seinem 1,2,3,4,5 Passwörtern mal eben das Sicherheitssystem austrickst und aufgrund der knappen Zeit direkt zur nächsten Spannungsexplosion hetzt. Dieser Weltraumknobler hier kann sich auf das konzentrieren was er ist. Ein perfekter, harter Rätselbrocken, der dich noch Stunden, Wochen und Jahre begleiten wird, bis du das vermeintliche Geheimnis gelüftet haben wirst. Aber wozu auch hetzen, wenn das Erfolgsgefühl am Ende so vielversprechend erscheint. Weltraumeinsamkeit war schon immer dein Ding. Du wirst es bis zum Gehirnbruch weiterhin mit vollster Zufriedenheit auskosten.

9/10 👨‍🚀

Developer: Beard Envy
Publisher: Kasedo Games
Genre: Puzzler
Team: Aaron Coker, Ben Webster, Josiah Ward
Veröffentlichung: 23.04.2020 (Steam)

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