Seit 2015 führt Kevin Schulz mit Black Screen Records Europas größten Vertrieb für Game Soundtracks auf Vinyl. Ein idealistisches Abenteuer.
Viele Menschen haben diese eine Idee, vom selbstständig werden, etwas bewirken, nicht nur ein Zahnrad im System sein, „Das müsste ich eigentlich mal machen“. Das eigene Café eröffnen. Den Etsy-Shop mit den handgenähten Kindersachen starten. Oder ein Plattenlabel gründen.
Chefredakteurin Benja hatte ihr eigenes Label und ich mein eigenes Café. Daher finden wir die Geschichte von Kevin Schulz umso erzählenswerter. Der träumte nämlich davon, Videospiele-Soundtracks auf Vinyl zu veröffentlichen. Das hat Kevin mit Black Screen Records 2015 in die Tat umgesetzt. Ich traf den Gründer und Geschäftsführer des Labels auf der Gamescom 2019 für ein Interview.
„Wenn ihr eine Idee habt, dann macht das einfach!“
Kevin Schulz ist passionierter Gamer. Mit seinem Cousin saß er schon vorm Super Nintendo und spielte Super Mario World. Sein Onkel erzählte mal, dass er sich noch gut daran erinnerte, wie die beiden die Melodie des Spiels mitgesummt haben.
Seitdem Kevin 16 war sammelt er Schallplatten und hat später beim Vertrieb Cargo Records in der Vinylabteilung gearbeitet. Hier vereinen sich also die beiden Leidenschaften Musik und Games bei ihm.
Die wenigsten gründen aber mit 16 ihr erstes Label. Kevin hat also zuerst eine Ausbildung gemacht. 2014, während seines anschließendem Studiums, spielte er mit einem Kumpel Oddworld New And Tasty und bemerkte, dass er vom ersten Teil her noch alle Songs kennt und sogar das originale Intro-Cinematic mitsprechen konnte, obwohl er jahrelang kaum Computerspiele gezockt hatte. Wie das dann manchmal so ist, saß Kevin in einer wenig spannenden Vorlesung und schrieb auf gut Glück die Entwickler von New And Tasty an und fragte, ob sie nicht Bock hätten, den Soundtrack auf Vinyl zu veröffentlichen. Seine Erfahrung bei Cargo Records gab ihm die Zuversicht, einen Vinyl-Release stemmen zu können.
Am Ende der Doppelvorlesung hatte er eine Antwort. Sie hatten tatsächlich Interesse daran. Auf dem Weg nach Hause wurde der Plan geschmiedet seine Cargo-Kontakte zu aktivieren, durch sie pressen zu lassen und den Rest selbst zu machen. Cargo war an Bord und die Idee trug Früchte: im November 2015 kam die erste Platte heraus – Oddworld New And Tasty auf Vinyl – Black Screen Records war geboren.
„Es ist so mindblowing!“
Ich antworte, dass viele Menschen ja diese eine Idee haben, was sie nicht eigentlich alles mal machen müssten, dies aber nie in die Tat umsetzen, weil es ja auch risikobehaftet ist.
Schulz: „Genau deshalb sage ich inzwischen immer, wenn ihr eine Idee habt, dann macht das einfach! Gut, ich hab bei meinen Eltern gewohnt und musste keine Miete zahlen. Das heißt, ich hätte es auch in den Sand setzen können, dann wäre es halt ein gescheitertes Projekt gewesen; Fuck it! Wenn man einen festen Job hat oder mit einem Partner zusammen wohnt ist das schwierig. Aber ich hatte damals alle Möglichkeiten und die habe ich so gut es ging genutzt.“
Von der fixen Studentenidee zum weltweit agierenden Geschäft
Nach dem Erfolg des Oddworld – New And Tasty-Soundtracks ging Black Screen Records langsam durch die Decke. Erstauflagen verkauften sich schon im Pre-Order aus und innerhalb von drei Jahren verbuchte Black Screen Records knapp 20 eigene Releases. Und dann wurde das Konzept erweitert und Veröffentlichungen von anderen Labels mit aufgenommen:
„2018 haben wir es gewagt, das finanzielle Risiko einzugehen, auf der Gamescom einen Stand zu mieten. Damit wir nicht nur unsere eigenen 20 Platten anbieten, das würde sich nicht so lohnen, haben wir ca. 80 Veröffentlichungen von anderen Labels aus den USA bestellt und bei uns verkauft. Das lief auch super gut, wir konnten auch alle Posten einspielen und haben ein bisschen Geld verdient. Nur hatten wir so viele Überbleibsel, dass wir diese bei uns in den Shop gestellt haben. Und dann kam die Community und fing an zu fragen, ‚Habt ihr auch diese oder jene Platte’ und dann haben wir uns gefragt, warum wir das eigentlich nicht zum Vertrieb ausbauen.“
Aus dem reinen Label wurde ein richtiger Distro, also ein Vertrieb für andere Label-fremde Veröffentlichungen. Bei Black Screen Records stehen heute die Veröffentlichungen fast aller renommierten Plattenfirmen im Shop, die Videospiele-Soundtracks veröffentlichen: Data Discs, iam8bit, Mondo, Laced Records und mehr. Als einziger Online-Store, der auf Game Soundtracks auf Schallplatten spezialisiert ist und ganz Europa mit weltweiten Releases beliefern kann, hat Black Screen Records eine Art Monopolstellung und ist unerreicht in dem, was sie leisten können. „Klassischer Fall von ‚zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen sein’“, sagt Kevin passenderweise dazu.
„Zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen“
Oddworld war eine Spontanentscheidung. Wie läuft sonst der Entscheidungsprozess bei Black Screen Records ab, welche Soundtracks veröffentlicht werden?
„Dass ich Oddworld als mein Lieblingsspiel aus der Kindheit bekommen habe war krass. Dann war es auch etwas schwieriger danach. Mittlerweile muss ich mehr kalkulieren, weil ich auch Werksstudenten angestellt habe. Das ist ein großes finanzielles Risiko, ich wohne auch nicht mehr bei meinen Eltern – unglaublich. Wir haben ja auch relativ teure Produkte; 180 Gramm Vinyl mit Farbe, Offsetdruck. Da investieren wir sehr viel Geld. Und ich muss auch immer gucken, dass es wieder reinkommt. Und deswegen suche ich mir Titel aus, wo ich weiß, dass es da eine Community gibt, eine Fanbase, die das kaufen. Aber ich muss es auch mögen, sonst macht es keinen Sinn.
Ich bin immer noch kein Profi, ich lerne jeden Tag dazu, denn es gibt noch keine Game-Vinyl-Soundtracks Ausbildung, aber man fängt an kaufmännisch zu denken. Das ist uncool, muss aber ein bisschen auch sein.“
Nische oder Mainstream?
Wer den Schritt in die Selbstständigkeit einmal gewagt hat weiß in der Regel, dass hier Idealismus und Wirtschaftlichkeit die beiden Waagschalen des Erfolges dominieren. Wird der Traum unter allen Umständen aus subjektiver Sicht verfolgt und angestrebt, werden vielleicht zu wenig Interessenten gefunden, um das Unterfangen erfolgreich zu gestalten. Wenn zu wirtschaftlich gearbeitet wird, sieht das ganz schnell nach Kommerz und Ausverkauf aus. Die Balance ist also der Schlüssel. Umso überraschter war ich zu hören, wie gut der meiner Meinung nach eigentlich eher nischige, aber musikalisch umwerfend gute Soundtrack zu VA-11 HALL-A läuft:
„VA-11 HALL-A ist der Soundtrack, der sich am besten verkauft hat. Und zwar nicht hundertfach, sondern eher tausendfach. Ich wollte den immer machen und hatte mit dem Komponisten Michael Kelly geschrieben. Und dann kam zurück, dass sie Bock hätten, das mit mir zu machen. Da war ich gerade im Urlaub am Strand. Dort habe ich dann den Pre-Order gestartet und dachte, ‚Ich habe jetzt mal 500 Stück eingestellt. Das wird schon laufen’. Und dann kam ich ne Stunde später vom Strand zurück und die komplette Pressung war ausverkauft! Und ich dachte, „Was geht denn hier ab? Das hab’ ich ja noch nie erlebt!“; besonders, wenn man bedenkt, dass das einer unserer früheren Releases war.
Inzwischen habe ich die dritte oder vierte Auflage gemacht. Wir haben irgendwann zusätzlich die 3er-CD-Box veröffentlicht und auch die verkauft sich immer noch – unglaublich gut sogar. Das hätte ich nie gedacht. Ich habe mir das natürlich immer gewünscht, weil ich den Soundtrack so sehr liebe. Ich weiß aber auch gar nicht, wo die Community dafür herkommt. Ich hatte das Spiel vorher nicht gespielt, ich kannte nur den Soundtrack. Ich hab’s dann nachträglich über Limited Run Games gekauft und gezockt. Da ist eine richtige Die-Hard-Community entstanden und dadurch lief der Verkauf mega gut.“
Fan-Art und Kollaborationen – Artworks der Plattencover werden ernst genommen
Einer der schönsten Aspekte an Schallplatten ist das vielfach größere Artwork im Vergleich zu einer CD. Gerade beim VA-11 HALL-A Soundtrack ist das Artwork etwas ganz besonderes, nämlich ein Mix aus Fan-Art zum Spiel.
„Das sind so sieben oder acht Leute, die daran gearbeitet haben: eine Person hat das Cover gemacht, eine das Booklet, eine den Downloadcode, die Innenseite des Gatefolds, das Poster etc. Da kam dann alles bei uns einfach an. Der Komponist Michael Kelly ist auch sehr eng mit seinen Fans auf Twitter verbunden und das ist ja dann auch schön, wenn die Leute eine Chance bekommen, sich an so etwas zu beteiligen.“
Dass Fan-Art für solche Veröffentlichungen verwendet wird ist aber eher ein Ausnahmefall. Wie läuft das bei den anderen Releases? Wie wird entschieden, wie das Cover aussieht? Arbeiten da Entwickler, Publisher und Blackscreen Records zusammen dran?
„Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Am einfachsten, wenn auch nicht immer am schönsten, ist es, wenn dir der Publisher Key-Arts schickt. Dann sieht das Cover halt so aus wie das Spielecover. Das haben wir zum Beispiel bei Plague Tale gemacht. Da war noch ein 12“ Kunstdruck dabei, den könnte man davorschieben und so ein neues Artwork bekommen. Aber normalerweise ist das immer ein Gespräch zwischen Komponist, Entwickler, Publisher und uns.
Wir sagen dann, „Das ist Eure IP, wir möchten die gerne so behandeln und zeigen wie ihr Euch das vorstellt. Sagt also was ihr machen möchtet“. Manche sagen, es ist ihnen egal, wir sollen jemanden beauftragen oder deren Inhouse-Concept-Artist kann etwas erstellen. Da kommen auch manchmal tolle Dinge dabei rum. Aber das ist immer unterschiedlich. iam8bit oder Mondo wollen zum Beispiel immer individuelle Artworks haben. Aber die beiden arbeiten auch schon seit Jahren mit der Kunst- und Filmbranche zusammen und haben Filmplakate gemacht. Ich tue mich dann auch ein bisschen schwer, wenn ich einen Künstler vorschlüge, der meiner Meinung nach genau das richtige dafür machen würde. So gut kenne ich mich in der Szene nicht aus. Deswegen bin ich dann ganz happy, wenn das eine Zusammenarbeit zwischen allen ist“.
Mit einem Grinsen auf dem Gesicht ins Bett gehen
Black Screen Records boomt, entwickelt sich immer weiter und hat sich einen respektablen Namen in der Szene erarbeitet. Die Arbeit, die trotzdem ansteht, wird dann vom Team mitgetragen:
„Mein Werksstudent kommt 2-3x die Woche und packt die Bestellungen, hält mir so den Rücken frei und ich kann mich auf die Projekte konzentrieren und er kümmert sich um den Versand. Dann habe ich noch den Dominik, der hat sich z.B. darum gekümmert, dass der Gamescom-Stand steht. Das ist ein guter Kumpel und er macht das auch nebenbei, weil der da Bock drauf hat. Für mich persönlich ist das schon… ich kann das immer noch nicht ganz glauben. Ich gehe jeden Tag mit einem Grinsen ins Bett weil ich das so krass finde.“
Seit Ende 2019 läuft Blackscreen Records sogar als Hauptjob für Kevin Schulz. Er hat es gewagt, seinen Vollzeitjob neben dem Hobbyunternehmen an den Nagel zu hängen und sich voll und ganz auf seine Selbstständigkeit zu konzentrieren.
Glück und Kalkül
„Es sind auf jeden Fall so drei bis vier Projekte in Arbeit. Vielleicht etwas Michael Kelly-bezogenes [Anm. d. Red.: inzwischen ist raus, dass es sich hierbei um den Yuppie Psycho Soundtrack handelt]. Über die anderen Sachen würde ich so gerne sprechen, weil ich so Bock drauf habe, kann es aber noch nicht“.
Rein hypothetisch gesprochen, wenn ihm alles offen stünde: welchen Soundtrack würde er am liebsten auf Vinyl veröffentlichen?
„Super Mario World, weil ich so viele Kindheitserinnerungen daran habe. Am Geburtstag meiner Mutter war die Familie da und ich habe ihnen erklärt, was Black Screen Records ist und was ich da so mache. Da erinnerte sich mein Onkel daran, wie ich mit meinem Cousin beim Super Mario World Spielen die Melodie mitgesummt habe. Das wäre so ein Highlight. Aber Nintendo ist da sehr schwierig. Die sind immer etwas hinterher. Die machen ihr Ding und das machen die super. Irgendwer wird in Zukunft wohl die Nuss knacken und für Nintendo die Veröffentlichungen machen. Wahrscheinlich iam8bit oder Mondo und dann wird es auch Mario- oder Zelda-Soundtracks auf Vinyl geben, aber das dauert wahrscheinlich noch. Solange gibt es ja die Arrangement Alben, die wir führen. Die sind auch sehr gut.“
Keep calm and listen to videogame music on vinyl.
Vom Musiknerd und Vertriebsmitarbeiter einer Plattenfirma, der gerne Videospiele mit pupsenden Aliens spielt, zum Gründer, Besitzer und Leiter des größten europäischen Vertriebshandels für Game-Soundtracks mit internationalen und eigenen Veröffentlichungen auf Vinyl – Kevin Schulz hat seinen Traum in die Tat umgesetzt.
Nicht jede Vision geht in Erfüllung oder entwickelt sich zu dem, was es ursprünglich mal sein sollte. Die allermeisten Visionen werden womöglich gar nicht erst ausprobiert. Im Falle Black Screen Records allerdings kann die Gamerwelt froh sein, einen leidenschaftlichen Macher in ihren Reihen finden zu dürfen, der allen Musikliebenden Gamern den Alltag verschönert.
Bitte mache weiter so und inspiriere Menschen dazu, sich nicht nur mehr mit fantastischen Videospielesoundtracks auseinander zu setzen, sondern sich vielleicht doch einfach zu trauen, der eigenen Vision Leben einzuhauchen und sich etwas zu wagen. Es könnte nämlich sein, dass dadurch eine Menge Menschen glücklich gemacht werden. Und während ihr die Umsetzung Eurer eigenen Vision plant, hört doch ein paar Platten von Black Screen Records. Die machen auch glücklich.