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The Pedestrian Review | Willkommen im Schilderwald

The Pedestrian heizt deinen Kopf. Ein Puzzle-Game zwischen cleverer Gestaltung und Ausbalancieren des Schwierigkeitsgrads.

Hast du dich schon mal gefragt, was die lieben Figuren auf Schildern in der Öffentlichkeit sonst so treiben? Ob die klassisch gekleideten, stilisierten Geschöpfe auf Toilettentüren im Schichtsystem arbeiten? Ob die flüchtenden Existenzen jemals ankommen? Wo sie ihre Freizeit so verbringen? Und wie sie überhaupt aus dem Gefängnis der Verbots-, Gebots-, Warn-, Fluchtweg-, Brandschutz-, Verkehrs- und Parkplatzschilder wieder heraus kommen? Gibt es ein eigenes Schildernetzwerk, das sie zu anderen Orten bringt? Wie funktioniert es und geschieht innerhalb dieser Schilder vielleicht sogar mehr als wir es uns jemals vorstellen können?

Nun, wenn du nicht ich bist, hast du dir vielleicht noch niemals Gedanken zu dieser Art Thematik gemacht. Die drei Developer von Skookum Arts aus Ohio, USA scheinen da schon eher bei mir zu sein. Aus einer illustren Idee des Bathroom Brakes in 2013, als eine Art Einstieg in das komplexe Metier des Game-Designs, wurde sieben Jahre später ein komplettes Spiel: The Pedestrian.

The Pedestrian: Gut zu Fuß

The Pedestrian nämlich erzählt von genau so einer Figur, die wir üblicherweise auf Schildern in der Öffentlichkeit sehen. Jedoch, Aufmerksamkeit schenken wir ihnen zumeist kaum. In diesem Puzzle-Platformer bist du ständig unterwegs. Nur eben nicht auf Bürgersteigen oder Zebrastreifen, im Auto oder auf See, sondern innerhalb eines gut verknotet scheinenden Schilderwaldnetzwerks. Und so analytisch betrachten wir die Dinger ja eh nie, um expizit sagen zu können, ob sich auf gewissen Schildern nicht auch Boxen, Plattformen, Türen, Leitern, Laser, Sägeblätter, Schlüssel, Kabeltrommeln und Batterien befinden.

Und so sucht sich dieser Fußgänger (Pedestrian) seinen Weg durch die Stadt, in der das Schild oft nur einen kleinen Teil der gezeigten Szenerie ausmacht, in speziellen Fällen jedoch das Zentrum der Perspektive bestimmt. In sieben Jahren Entwicklung konnten sich Artist Daniel Lackey und Designer Joel Hornsby nach belieben austoben.

Eine lebendige Stadt

Unzählige winzige Details und Anhaltspunkte finden somit ihre ganz eigene Beachtung und Wichtigkeit innerhalb einer unglaublich lebendigen Stadt. Putzoberflächen, rostige Stellen am Bauzaun, ein verlorener Basketball auf einem Streetcourt oder angeschlagene Glasflaschen, Skookum Arts werten The Pedestrians Habitat gekonnt auf und füllen ihn vor allem mit Authentizität. Und so viele Gimmicks auch die Szenen bewohnen mögen, nie wirken sie aufgesetzt, nie wirken Abschnitte überfüllt.

Denn wo Detailverliebtheit in der gestalterischen Reichhaltigkeit des Hintergrundes zu finden ist, wird ebenso dem/der eigentlichen Protagonist_in und dessen Schildern vollste Aufmerksamkeit geschenkt. Ob metallene Beschaffenheit, Papier, Aushilfspappschild oder digitale Oberflächenstruktur, ob Farbgebung oder Stil, zu jeder Zeit passen sich Figürchen und Interieur des Schildes seinem wahrhaftigen Zustand an. Das ist nicht nur unglaublich gehaltvoll in seiner Gestaltung, sondern ebenfalls wahrhaftig elegant im Bereich des wortlosen Geschichtenerzählens.

Wo der visuellen Ebene demnach viel Beachtung geschenkt wird, wird es auch mit dem Sounddesign nicht anders gelöst. Der Geräuschpegel der Stadt, aus Hupen, Baulärm, tausenden Nuanzen von Betriebsgeräuschen, Murmeln, Klicken, Klacken oder dem Funken überschlagen, The Pedestrian mangelt es an absolut nichts. Weder am exakt vertonten Tapsen des Strichmännchens, als auch am bewussten Einsatz elegant und organisch implementierter Musik. Komponist und Sounddesigner Logan Hayes weiß um jeden forschen Einsatz zur Steigerung der Emotion oder der Spannung. Er weiß, wann eine Aktion des Puzzlens mit absoluter Ruhe belohnt werden sollte und er weiß wann er seine wundervollen Klänge zelebrierend einsetzen kann.

The Pedestrian bringt deinen Kopf zum Rauchen

The Pedestrian wandelt nahe der Perfektion. Da bildet auch die spielerische Ebene nahezu keine Ausnahme. Innerhalb eines jeden Schildes eröffnet sich eine kleine Platformerwelt, die je nach Modell mit kleinen Puzzleabschnitten besetzt wurden. Das Figürchen hüpft, rennt und schiebt Kisten umher. Nicht ohne eine beeindruckende Lässigkeit in der Präzision zu hinterlassen, für die Programmierer Jedidiah Lackey verantwortlich ist. Doch was wäre ein Schilderwald ohne Wald?

Wie wir schon in der Fahrschule lernen mussten, kommen Schilder nie allein. Manche besitzen Zusätze, manche heben sich sogar gegenseitig wieder auf. Auch in The Pedestrian kommen sie oft im Dutzend. Und genau dann eröffnet sich eine weitere Ebene in der Spielmechanik. Immer dann, wenn der Fußgänger Teilchen suchen muss, um zum einen einen verbarrikadierten Abschnitt aufzubrechen oder Teilchen für ein digitales Gerät suchen muss, genau dann wird aus dem sich sukzessive steigernden Puzzle-Platform Spaß ein echtes Gehirnzellenmassaker. Denn genau dann wechselst du vom Fokus der Person auf den Schilderwald im Ganzen. Von nun an werden einzelne Schilder durch das richtige platzieren einerseits und durch das Verbinden von Leitern, Türen und Toren andererseits zu einem wahren Schildernetzwerk.

The Pedestian fordert genau dann einen Mix aus komplexen Denkvorgängen, logischem Nachvollziehen und einfachen Ausprobieren. Nicht ohne Verzweiflung zu schüren, aber immer mit der Aussicht auf das nahende Erfolgserlebnis. Die Genugtuung nach unglaublich produktiver Arbeit.

Keine Box zu viel

Auch hier liefern Skookum Arts enorm präzise und logische Arbeit. Jedoch, für letztere musst du das komplexe Ding erst einmal durchschauen.
In The Pedestrian befindet sich keine Box, die nicht benutzt wird, kein Schlüssel, der keine Tür öffnet, keine Tür, die nicht durchtreten werden will. Weder Schalter, noch Laser, noch hydraulische Plattformen wurden allein des Designs wegen integriert, noch Pincodes oder Zugänge sinnlos eingefügt. Dieser Puzzle Platform ist eine einzige puzzletechnische Wonne. Und das hilft dann auch wieder bei der Lösung.

Und doch, in manch einem Abschnitt zerbrichst du dir unzählige Minuten den Kopf, probierst aus und kommst doch zu keinem erfolgreichen Ergebnis. Zum Glück haben die Entwickler dir eine Hilfe in Videoform mit beigelegt, denn sie verstehen dein Problem des Termindrucks. Für mich war Skookum Arts Puzzler am Ende, gerade in seinen vielschichtigen Bereichen im Terminstress zwei Nummern zu groß. Gestellte Rätsel manches mal dann doch im Denkvorgang nicht mehr nachvollziehbar. The Pedestrian fehlt es an einem etwas ausbalancierteren Schwierigkeitsgrad. Auch wenn das am Ende rein subjektives Empfinden bedeutet.

Mit etwas Zeit und Engagement ist dieser kleine Makel vermutlich zu vernachlässigen. Auch wenn die drei am Ende selber zugeben, dass sie eben selbiges des Spiels nicht mal mehr erklären können, da es zu komplex wird. Vielleicht wäre auch im Verlauf des Spiels ein wenig Nachsicht und Zugänglichkeit von Nöten gewesen, um den Fußgänger zur kompletten Zufriedenheit zum Ziel seiner Mission zu befördern. Nichtsdestotrotz ist The Pedestrian ein wahnsinnig innovatives, einzigartiges und vielschichtiges Puzzle-Game, das durch seinen Hang zur Perfektion in Gestaltung und Leveldesign an Profil gewinnt. Es ist pure Freude und abartige Herausforderung zu gleich. Aber mal ehrlich, genau das macht es am Ende so zufriedenstellend.

9/10 <3

Developer/Publisher: Skookum Arts
Genre: Puzzle Platformer
Team: Daniel Lackey (Artist), Jedidiah Lackey (Programmer), Joel Hornsby (Designer)
Musik und Sounddesign: Logan Hayes
Veröffentlichung: 29. Januar 2020 (Steam)

Autorin: Benja Hiller
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