Nach müde kommt doof. Doof ist aber manchmal genau richtig. Heave Ho ist im besten Maße dämlich und genial!
Ab und zu macht das einfachste Spielprinzip mit lediglich zwei Buttons und einem Steuerknüppel am meisten Spaß. Besonders dann, wenn vier gut gelaunte Menschen im Wohnzimmer sitzen und stumpfen Spaß haben wollen, ohne sich seitenweise Regeln durchlesen oder Tutorials spielen zu müssen.
Enter: Heave Ho! Spiele einen Kopf mit zwei Armen in einer simplen 2D-Umgebung, die wie mit Wachsmalern daher gekritzelt wurde. Du fängst auf einem Klotz an und musst dich zum Ziel hangeln. Stürze dabei nicht in den Abgrund und nutze die Macht der Physik aus. So einfach ist das. Or is it…?
Heave Ho Ho Ho.
So simpel wie es sich anhört, so verwirrend kann es im Spiel sein, nur die beiden Hände zum Greifen zu benutzen. Drücke auf dem Gamepad L, um mit der linken Hand, oder R, um mit der rechten Hand zuzugreifen. Die Klötze und Balken im Leveldesign erlauben es dem Ärmekopf, sich durch die Szenerie zu hangeln. Lasse R oder L los um, äh, loszulassen.
Es ist so logisch, dass es sich bescheuert anfühlt, das zu erklären. Und dennoch: wer Mount Your Friends oder Manuel Samuel gespielt hat weiß, dass einzelne Extremitäten unabhängig voneinander zu bewegen etwas ist, das ein Säugling zwar innerhalb seiner ersten paar Lebensmonate lernt, in einem Videospiel aber für vollkommen selbstverständlich genommen wird. Gar nicht mal so einfach. Denn der einzige Kniff ist, die richtige Hand im richtigen Moment loszulassen – zum Beispiel, um Schwung zu holen, weil sonst der nächstgelegene Klotz nicht ohne weiteres erreicht werden kann. Oder weil sich durch Stacheln im Level sicher hindurch manövriert werden muss, ohne sie zu berühren. Fingerspitzengefühl ist also gefragt.
„Moment, mein Kopfkopp is’ auf’m Kopp. Welche Hand ist denn jetzt L oder R?“, und PLATSCH fällt der Kopffüßler in den Abgrund und eine Farbfontäne spritzt das Level an. Aber selbst scheitern macht Spaß. Denn hier greift das Super Meat Boy-Prinzip: wer stirbt, weiß genau warum. Und das spornt an. Das Level Design ist nicht unfair oder unvorhersehbar. Die eigene Doofheit macht das dann ziemlich witzig. Und jeder Parcours bietet neue Kniffe wie sich drehende Objekte an denen sich festgehalten werden kann, unsichtbare Flächen, Lianen oder die physikalisch leider extrem sinnlosen Kugeln im letzten Parcour. Diese konnte ich nur mit den vom Spiel nach diversen Toden im Level selbst dazugeschalteten Hilfslinien durchspielen. Aber diese Level erschließen sich womöglich mit mehr Spielern eher. Genau, wie es zu mehreren auch mehr Spaß macht.
I wanna heave hold your hand
Heave Ho alleine spielen ist witzig und gibt ein erstes Gefühl für die Steuerung. Als langjähriger Fan von Mount Your Friends war mir die Steuerung sofort vertraut und die neun Umgebungen mit jeweils einer handvoll Level waren in anderthalb Stunden durchgespielt. Danach werden pro Umgebung noch neue Level mit schwererem Leveldesign freigeschaltet (so Marke Super Mario Maker – die ganz schweren Brocken, die sich irgendwelche masochistischen Gamer so ausdenken). Die werden dann im Co-Op besonders interessant. Und genau hier kann das Partyspiel glänzen.
Heave Ho ist ein Co-Op-Spiel: wer zu zweit, zu dritt oder zu viert spielt, muss viel miteinander kommunizieren. Wer wessen Hand wo festhält, wer wann mit welcher Hand loslassen darf und wer wann im richtigen Moment im freien Fall der Köppekette zugreift. Das führt zu viel Palaver und ebenso unweigerlich zu Tod und Verderben im Spiel. Aber da kann jeder drüber lachen, weil es einfach so debil dumm gestaltet ist.
Die Spielfiguren können optisch verändert werden: andere Farbe, Bart, Hut, Augen bzw. Brille und Stimme. Die Männekes sehen dann schnell aus wie Ralf Richters Charakter in Bang Boom Bang, Helge Schneider oder ein stereotyper Rastafari.
In den einzelnen Abschnitten erscheint zufällig manchmal ein gelbes Seil, welches ein Bonuslevel freischaltet. Hier warten dann verschiedene Aufgaben auf dich, wie Tanzmoves mit den Armen nachmachen oder Basketball spielen. Mit der Physik des Spiels ist das natürlich zum Schreien komisch. In diesen Bonuslevel lassen sich zudem Münzen freischalten, mit denen neue Outfits freigekauft werden können. (Anmerkung der Redaktion: Freischaltbare Outfits, die zum Beispielt Popkulturelle Referenzen anstellen) Alles fühlt sich an und sieht auch so aus wie Crayon Physics auf LSD.
I let him go.
Heave Ho wurde von Le Cartel aus Frankreich kreiert. Hätte ich aufgrund ihres ersten Spiels nicht gedacht: Mother Russia Bleeds ist ein außerordentlich gewalttätiger und fast schon geschmackloser Sidescroll-Brawler, a la Final Fight. Dass da viel Liebe zum Detail hintersteckt und das gut durchgeführt wurde ist sichtbar. Trotzdem habe ich in meinen 36 Jahren als Gamer schon genug Gewalt gesehen und brauche sowas heutzutage nicht mehr. Umso schöner, dass Game Designer Frederic Coispeau, Game Developer Florence Noe und Game Artist Alexandre Muttoni sich fröhlicheren Themen gewidmet haben.
Ihre Liebe zum Detail bleibt erhalten. Wenn zum Beispiel lange nichts passiert, läuft ein riesiges Lama durch die vordere Ebene des Bildschirms und kaut Kaugummi. Mit Sonnenbrille. Und wenn schon viele Tode gestorben wurden, fliegt ein Vogel durch den Bildschirm und scheißt auf den Spielcharakter. Direkter konnte mir das Spiel nicht klarmachen, dass ich abstinke.
Das Sounddesign ist zwar praktikabel und urig, ich hätte es mir jedoch eine Spur einprägsamer gewünscht. Ein solches Spiel benötigt Sound, der entsprechend albern ist. Die Lieder und Soundeffekte* sind auch albern aber nicht erinnerungswürdig. Ich hätte mir einen ähnlichen Grad von Absurdität wie bei Katamari gewünscht (wobei dieser Grad absolut unerreichbar und nur durch Katamari selbst ausführbar ist – Anmerkung des Verfassers). Naja, abgelegt unter „Meckern auf hohem Niveau“.
Die letzte Levelumgebung erschien dennoch fast ein wenig unfair. Diese habe ich wirklich nicht ohne weiteres geschafft. Die Tatsache, dass es eine eingebaute Hilfe gibt, bzw. geben musste, zeigt leider auch, dass das Leveldesign hier etwas versagt. Eigentlich müsste mir klar sein warum etwas nicht funktioniert. Hier war es mir jedoch nicht klar. Die Auswahl an Spielumgebungen ist aber ausreichend, um diese, zumindest allein, einfach außer acht zu lassen.
Heave Ho ist für jede Couch-Co-Op Party ein Muss und sehr zu empfehlen. Wer kurzweiligen und schnell erlernten Slapstick haben will, scheint bei Le Cartels Mehrspieler_innenspaß genau richtig. Danke Devolver Digital, dass ihr mal wieder den weirdesten Shit ausgegraben und veröffentlicht habt. Ihr beweist dafür immer wieder das gewisse Händchen mit Gespür. Bei euch kann blind eingekauft werden. Das sind meistens Volltreffer. Volltreffer wie Heave Ho.
8/10 <3
Developer: Le Cartel
Publisher: Devolver Digital
Team: Frederic Coispeua (Game Designer), Alexandre Mutoni (Game Artist), Florence Noe (Game Developer)
Veröffentlichung: 29. August 2019 (Steam, Switch)
Autor: Dennis Strillinger
*Jeder Abschnitt besitzt eine eigens entwickelte Melodie. Mit jedem Level wird ein Instrument hinzugefügt. Anfangs mit leichter Drumuntermalung gestartet, entwickelt sich das Orchester im Laufe des Abschnitts zu einer Gesamtkomposition. Die Krönung bildet dann eine A capella-Version des Stücks, intoniert von den Developern selbst.