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Auf der Bordsteinkante… | MAUSER-Story

Johnny Mauser - Der Katze entkommen

…mit JOHNNY MAUSER. Es ist der Tag an dem Menschen mit Bollerwagen, vollgepackt mit Bier und Schnaps, durch Parks, Straßen und Wiesen ziehen. Egal ob sie das Privileg, ein Kind in die Welt gesetzt zu haben, nun besitzen oder nicht! Eine schlimme Entwicklung, denke ich und stehe Stunden später auch nicht allein damit. 

Die Alternative zum kollektiven Wanderbesäufnis ist eine Maus im Rattenloch. Mit Scheuklappen und Ohrmuscheln kämpfe ich mich durch die aktuelle Ausnahmesituation bis nach Schwerte. Doch warum soll ausgerechnet eine Maus für den Gegenentwurf dieses Tages sorgen? Zugegeben, in Kombination mit dem Rattenloch klingt das doch schon aufregend skurril. Aber für eben gewissen Gegenentwurf bei weitem nicht ausreichend.

Johnny Mauser kämpft gegen deutschen Nationalismus. Deshalb ist er hier. Eine Solishow um Geld für Aktionen gegen örtliche nationalistische Gruppierungen zu sammeln. Doch verliert es sich gerne, dass da noch mehr ist. Er ist eben ein Rapper, der nicht „nur“ gegen Nationalismus kämpft und sich linken Freiräumen zugehörig fühlt. Da ist weitaus mehr. Johnny Mauser ist Synonym im Kampf gegen Homophobie, Sexismus und altmodische Rollenbilder in einer Szene, die von all dem weit überlaufen scheint. Dabei hat alles mal aus einer politischen Motivation heraus angefangen. „Genau, Ursprünglich hatte der Hip Hop ein politisches Moment. Es müssen natürlich jetzt nicht alle Hip Hop Texte politisch sein. Was frappierend ist, dass das Groß der Texte politisch unkorrekt ist. Es ist einfach schon normal, dass sich das durchgesetzt hat. Es geht einfach darum, die anderen in ihrer politischen Unkorrektheit zu toppen. Irgendwann hat es mal mit „Lutsch meinen Schwanz“, um ein Schimpfwort zu haben, begonnen. Jetzt werden Nazis in Videos gezeigt oder Vergewaltigungsszenarien verbalisiert. Es hat sich somit als ein Teil dieser Kultur etabliert und das ist halt das krasse daran.“ Wir haben es uns auf der Bordsteinkante gemütlich gemacht, denn der angrenzende Park ist bereits besetzt. Moment Bordsteinkante? Straße? „Ich höre mir auch gerne Straßenrap an. Wenn Leute harte Geschichten von der Straße erzählen. Auch muss ich nicht alles unterschreiben können, aber wenn es zur Normalität wird, dass man als politischer Rapper schon als blöder moralischer Zeigefinger Mensch wahrgenommen wird, der eigentlich in der Szene nichts zu suchen haben sollte, ist das schon erschreckend.“

GEGEN DEN STROM SCHWIMMENDEN MENSCHEN SCHLÄGT MAN EINFACH INS GESICHT. Homophobe und/oder sexistische Trottel bleiben Ignorant, gerade wenn sie einen Spiegel vorgehalten bekommen. Ihre „Meinung“ mit Argumenten zerschlagen wird. Aber wird ein Johnny Mauser überhaupt von anderen Genreentwicklungen der Hip Hop- und Rapszene wahrgenommen? Hat er eine Chance mit seinen Aussagen auf Gehör, abseits von autonomen linken Strukturen, zu stoßen? „Es ist tatsächlich verhältnismäßig wenig im Gegensatz zu denen, die uns auch sonst hören. Eine gewisse Ignoranz ist spürbar. Wir haben natürlich auch bewusst angefragt, wollt ihr uns nicht bei dem und dem Portal bringen? Die Leute hatten, trotz der youtube Klicks und Likes, schon eine Art von Ignoranz, oder Scheu vor den Inhalten, weil sie das dann auch indirekt selber angreift. Trotzdem hab ich, da ich aus der Grafitti Szene komme, persönliche Überschneidungen in die „normale“ Rapszene. Das klappt schon. Da geht es ja immer sehr viel um Skillz und wer rappt wie gut. Wenn man das einigermaßen hinkriegt geht das schon.“ Rapskillz über Inhalte. Toleranz statt Akzeptanz. Sprießen auch deshalb gerade die Spaß- und Inhaltsfreien Rapper wie Algenteppiche und werden total dafür abgefeiert, so krasse Skillz zu haben? Ein Freund von mir lebt nach dem Leitsatz: Wenn es am Ende nur um Musik ging, war alles umsonst. Wie erstrebenswert erscheint es da, mehr durch krasse Rhymes, Beats und Skillz aufzufallen, als über wichtige, zu publizierende Inhalte auf sich aufmerksam zu machen und Missstände anzusprechen? Im Punk schließlich Normalität. Auch deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Johnny Mauser vor allem von dieser Szene wahrgenommen wird und auf dieser Tour nur in Autonomen Zentren spielt. In jedem Fall erscheint es schwierig, diese Art der Ideologie weiter nach Außen zu tragen. „Es ist auf jeden Fall schwierig! Eigentlich finde ich es ganz cool, wenn man da so eine Mischung hat. Es ist ja auch noch so, dass ich mit anderen zusammen Musik mache, NEONSCHWARZ. Mit denen sind wir dann auch eher auf so Campusfestivals. Oder auch teilweise in Locations, die kommerziell sind und nicht den linkspolitisch gerichteten Anspruch haben. Eigentlich ist es auch mal ganz spannend da zu sein und vielleicht etwas bewirken zu können. Die Aussage weiter zu transportieren. Trotzdem fühle ich mich hier (AZ) einfach am wohlsten, weil hier die Leute sind, die die Inhalte auch teilen.“ Johnny Mauser spricht oft von wir. Das liegt nicht daran, dass er, in den Augen der anderen, der königliche Moralapostel ist, sondern an dem Netzwerk TickTickBoom. Ein Zusammenschluss aus vielen KünstlerInnen, hauptsächlich RapperInnen und DJ|ane’s, die eben genau diese Ideologie leben. Die Maus gehört natürlich dazu. Zusammen erreicht man viel mehr im Kampf gegen Homo- und Transphobie, Sexismus und Rollenklischees. Queer/feministisch und immer Antifaschistisch. Sie alle zeigen, dass Hip Hop und Rap auch ohne „Szene-Gehabe“ und mackeriges Gepose funktioniert. Arbeiten für und mit entsprechenden Organisationen. „Wir haben das rein aus freundschaftlichen und persönlichen Gründen einfach erst mal gegründet und hatten einfach Lust, was zusammen zu machen, merkten aber dann, dass man sich gegenseitig gut bestärken, unterstützen und Kontakte nutzen kann. Wenn man das Ganze dann noch nach außen als so ein Movement wirken lässt, ist das schon etwas beeindruckender, mit 25 Menschen die dahinter stehen, als wenn zwei linke Rapper sich auf die Bühne stellen und sagen: „Hey, wir haben hier was zu sagen, weil wir so coole Inhalte haben“. Bis jetzt klappt das ganz gut. Also am Anfang als wir das gegründet haben, hatten wir halt bedenken, ob wir das länger als ein halbes Jahr durchziehen und nicht an unseren eigenen Ansprüchen scheitern. Aber bisher ist das relativ produktiv.“ Es ist nicht nur produktiv, sondern weitet sich schnell aus. Sobald ein Künstler ein neues Video oder Album veröffentlicht, wird mobil gemacht. TickTickBoom entfaltet seine Kraft in Form von Zusammenhalt und Unterstützung. Alle, wirklich alle Künstler verbreiten gerade erschienenes Werk mit Liebe und Herzblut. Für die Ideologie und das Movement. Produktionen werden zusammen verwirklicht. Johnny Mauser featured Refpolk, Sookee musiziert mit Kobito. Refpolk widerum mit Sookee, die nun auch mit Johnny Mauser gerade einen Song schreibt. Mauser Captain Gips und Marie Curry sind zusammen NEONSCHWARZ. Beats werden für einander produziert oder gar ganz gesamplet. Ganz nach Musketierart. Alles ist inzwischen stark verwoben. Nur im Zusammenschluss wird eine Idee auch lebbar. „Es sind einfach schon Freundschaften. TickTickBoom wird auch bald ein Gesamtrelease haben und ich gelte ja eher so als Mackerrapper und Sookee als queer/feministische Rapperin, wo viele dann sagen würden: „Ey, ihr zusammen?“ Aber dieses Movement!

A MOVEMENT MOVES TO A CERTAIN POINT AND THEN IT STOPS. THAT’S WHY IT IS CALLED MOVEMENT! Ja, Graf Orlock und ihre Filmsamples wohnen in meinem Kopf. Aber was hat es damit auf sich? Ist TickTickBoom ein Movement, eine Ideologie, oder gar eine Revolution des deutschen Hip Hop und Rap? „Das kann es ja nur dann sein, wenn es auch wahrgenommen wird. Das wäre natürlich das Schönste, aber momentan eher unreell und utopisch. Movement? Dann in dem Sinne, als dass man ankommt und es geschafft hat?“ Oder eben auch nicht. „Aber es ist schon eine Bewegung die wir machen. Wir versuchen nach vorne oder nach oben zu kommen und uns auszuweiten. So würde in dem Sinne der Begriff passen, ohne dass ich jetzt eine negative Prognose von uns selbst erstellen möchte. Einfach eine neue Facette, dass sie es zumindest mitkriegen. Muss ja auch nicht jeder sagen, „Joa, ist mein Ding!“ Es können sich auch einige davon distanzieren. Aber dass man zumindest sagt. es ist eine neue ernstzunehmende Sparte neben Gansterrap & Co.“

Bei all der politischen Sprachgewalt spricht die Maus auf „Der Katze entkommen“ auch persönliche Belange an. Eine Art Selbstreflexion scheint durch und erzählt von all dem Erlebten. Eine neue Facette im Mauseloch. „Vorher stand immer der politische Gedanke im Vordergrund und ich hab das Medium Rap gewählt um eine politische Botschaft rauszuschicken. Das mache ich auch immer noch gerne, aber in Lebensphasen, die nicht immer ganz so einfach sind, hab ich gemerkt, dass die Musik was bringt. Ich dachte immer es ist so ein bisschen Klischee, wenn Musiker sagen: „Ja, ich konnte jetzt die und die Probleme damit im Text verarbeiten und dann ging es mir besser.“ Hab ich immer ein bisschen belächelt, aber schon gemerkt, dass, wenn man es schafft in nachdenkliche Phasen sich an einen Text zu setzen, mir das irgendwie doch weiterhilft. Ich glaube, dass ist einfach so eine Phase gewesen. Jetzt kommt halt dazu, dass einige sagen, es würde erwachsener klingen.“ Das Alter. Macht es einen nachdenklicher? Ist es einfach die Erfahrung, die einen auf persönliche Belange stößt und nicht mehr los lässt, bis man das komplett abgehakt und abgearbeitet hat. Nicht sorglos frei weitermachen lässt? „Ja, bestimmt. Ich hab zwar immer Angst davor zu sagen, wenn man Biographien von Menschen nimmt, die bis zum Alter von 23/24 total radikal politisch waren, an dem Punkt ankommen, zu sagen: Ich distanziere mich jetzt irgendwie davon! Das sehe ich bei mir in dieser Phase jetzt nicht. Aber manche Sachen, natürlich auch so ein bisschen selbstkritisch, zu reflektieren (Antifa, Männlichkeitsbilder, militante Texte), da denk ich schon drüber nach. Es ist nicht so, dass ich mich davon distanzieren würde. Aber ich stand im Austausch mit anderen Menschen darüber. Das hört man vielleicht auch noch raus.“

DIE MACHT DER GEWOHNHEIT, DIE GEWOHNHEIT DER MACHT. Eingespielte „Systeme“ überdenkt man selten. Sie sind automatisiert und passieren einfach so, ohne weiter nachzudenken. Das Wortspiel in „Gewohnheit der Macht“ steht für Macht- und Herrschaftsverhältnisse und wird heruntergebrochen auf alltägliche Sachen. Wir kuschen vor dem Fahrkartenkontrolleur und zucken zusammen. Hab ich mein Ticket dabei? Muss ich jetzt mit 40€ Strafe rechnen? Kleinigkeiten, die eventuell eine größere Wirkung entfalten. Jeder Mensch hat Gewohnheiten, die sich eingeschlichen haben, die wenig bis gar nicht überdacht werden. Sollten manche Vorgänge vielleicht doch noch einmal Hinterfragt und verbessert werden? Automatismen durchbrochen werden? Der Song zielt speziell nicht darauf ab, doch kam es mir bei eben diesem Song in den Kopf. „In der Antifa Szene, zum Beispiel, ist es ja schnell so reflexartig. Man arbeitet so und so. Es ist klar, dass man so und so agiert und dann DAS sagt und die Floskel runterhaut. Auf der Ebene hat man sich auf jeden Fall an so Sachen gewöhnt, ohne das vielleicht mal völlig zu durchbrechen oder neu zu denken.“ Die Schnapsleichen denken heute gar nicht. Sie gehen ihren Ritualen nach. Bier? Leer! Neu! Weil es immer so war. Weil es immer so ist und weil es immer so bleibt. Leergut pflastert den Weg. Wer morgens anfängt ist früher im Bett. Gut für uns. Aber im Rattenloch, in das die Maus heute eingezogen ist, sind wir unter uns. Ein sicheres, geborgenes Umfeld. Der Gegenentwurf für den Tag. Herzblut, Inhalte, Netzwerk und Zusammenhalt gegen Ritual, Sinnlosigkeit und Pöbelei. Doch wie gestaltet sich der Kampf da draußen? Wie entkommt man der Katze? Helme Heine gibt einen Anhaltspunkt.

EINE MAUS, DIE NUR DER KATZE ENTKOMMEN KANN, WEIL SIE SO CLEVER IST. „Wie man das genau macht? Im Austausch mit anderen. Indem ich die Lebensentwürfe von anderen betrachte, die sagen, wir machen das so und so. Also im Austausch mit denen solidarisch zusammen leben und sich nicht als Einzelkämpfer in dieser Gesellschaft, behaupten. Das bringt mir am meisten.“ Und da ist er wieder, dieser Netzwerkgedanke. Der rote Faden. „Alleine muss man ganz schön stark sein um sich da irgendwo durchzukämpfen.“ Es ist die „krasse Gang“ die sich der gängigen Styles bedient, um sie mit einem Augenzwinkern neu zu besetzen. Johnny Mauser möchte keinen Sozialpädagogen Rap machen. Er ist in der Grafittiszene zuhause und mag die Attitüde. Weite Hose und coole Worte stehen nicht ansatzweise im Konflikt mit starken Inhalten und Aussagen. Krass bedeutet nicht Unkorrekt. Bei sicherer Anwendung bildet sich die perfekte Symbiose. (wenn, dann das hier. exclusive)

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