Back To Bed | Surrealismus und Träume

Wenn ein Spiel ein Jahr lang als angefangener Textbrocken in deinem Archiv versauert, sind Faulheit oder Belanglosigkeit oft dafür verantwortlich. Das einzigartige „Back To Bed“ aber hindert dich einfach nur daran, Erlebtes in adäquater Form zu verpacken.

Dabei ist das Grundprinzip nicht einmal hoch komplexer Scheiß. Es ist einfach und schnell erzählt: „Back To Bed“ ist ein eindeutiger Puzzler, in dem du einfach nur eine Möglichkeit finden musst, den schlafwandelnden Protagonisten Bob behutsam zu Bett zu bringen, ohne dass er aufwacht.

Warum du das nicht schon eher so einfach auf den Punkt gebracht hast? Bedtime Digitals Kunstwerk nur als blanken Puzzler einzustufen würde diesem absolut nicht gerecht. Ganz so, als würdest du „Die Beständigkeit der Erinnerung“ von Salvador Dali nur als Bild betiteln. Das ist im Grunde beides natürlich absolut richtig, grenzt aber an völliger Untertreibung. Dalis Werke sind Bilder, ja. Das Gekritzel deiner kleinen Schwester aber eben auch.

Wie also beschreibst du ein Ding, das nicht nur ein Spiel oder im weiteren Sinne ein Puzzler ist, sondern etwas Besonderes? Und was hat das bitte alles mit Dali zu tun? Genau daran scheiterst du seit einem Jahr. Genau deshalb lacht dich diese „Back To Bed“ Datei immer wieder gnadenlos aus, sobald du auch nur ansatzweise mit deinem Mauszeigerchen in die Richtung des Ordners gelangst. Kunstwerke lassen sich eben nicht so einfach in Worte fassen. Du kannst sie Beschreiben, Umschreiben, Interpretieren und Analysieren, doch alle Versuche, diesem seltenen Fall gerecht zu werden, sind immer nur Annäherungen. Keine Wortsammlung dieser Welt kann ein Kunstwerk in eine wundervoller und angemessener Form beschreiben. Du musst es erleben, es fühlen, es bestaunen und dich darauf einlassen.

Huch eingeschlafen

Genau hier könntest du auch sofort aufhören zu lesen, dich vor deine Konsole oder den PC setzen und „Back To Bed“ starten. Doch das wirst du nicht tun oder? Nur weil ich es dir in schön zurecht geformten Sätzen einfach so beauftrage? Wirst du doch? Beeindruckend! Falls du aber jetzt doch noch ein paar Wörtchen mehr brauchst, um dir letztendlich sicher zu sein, liest du nun eine Annäherung in drei Akten:

Back To Bed ist das Ergebnis deines äußerst realistischen Büro-Arbeitsalltags. Der Apfel in der Mittagspause sollte dich eigentlich auffrischen. Die enthaltenen Vitamine deine Leistungsfähigkeit hochfahren, damit du dich durch langweilige Emails und Aufgaben wühlen kannst, bis der Minutenzeiger den Feierabend einläutet. Doch plötzlich werden deine Augenlider immer schwerer. Dein Kopf gibt zunehmend der Schwerkraft nach und wandert extrem nahe in Richtung Tastatur auf den Schreibtisch. Du befindest dich im Halbschlaf, in dem Realität und Traumwelt zu einem surrealen Wust aus abnormen Figuren und seltsamen Umgebungen ineinander verschmelzen. Während dein Wohlbefinden den Alltag ausblendet und sich auf dem direkten Wege ins kuschelig, wohlige Bett befindet, versucht dein Unterbewusstsein alle Gefahren der realen Welt irgendwie bei Seite zu schaffen.

Bring Bob ins Bett

Jetzt hast du die Welt von Bedtime Digitals Back To Bed erreicht. Eine Welt, in der dir – oder hier besser gesagt Bob – überdimensionale Äpfel und Fische den Weg ins endgültige Traumland ebnen. Doch die Gefahren der realen Welt sind noch immer vorhanden. Deshalb beschützt dich dein Unterbewusstsein – in der Form eines bobbigen Hundes – vor ihnen. Wieselflink huscht Unterbewusstsein Bob von einer Ecke zur anderen, wehrt Attacken von bösen, bellenden Hunden ab, schützt dich davor in die Tiefe zu stürzen oder dem schrecklich klingelnden Wecker zu begegnen.

Hellwach oder Tiefschlafphase?

Und schon hat es „Back To Bed“ wieder geschafft. Ein weiteres halbes Jahr hast du dieses Dokument nicht angerührt. Es ist dir einfach eine Nummer zu groß. Insgesamt eineinhalb Jahre mit immer wiederkehrenden Versuchen eine Struktur für diesen so außergewöhnlichen Puzzler zu finden. Stichworte durchziehen den unteren Teil der Datei. Stichworte, die in einer wundervollen Form, der Kunst des Textens, zusammengefügt werden wollen, um dir plausibel zu erklären, warum das Spiel auf allen Ebenen einfach perfekt agiert und dich geradezu virtuell in diese traumhafte Scheinwelt hineinzieht. Story und Comicstrips verschmelzen mit Level- und Sound-Design während sich die ganze visuelle Kraft an Dalis Kunst orientiert, sich inspirieren lässt, sie aber eben niemals kopiert. Dafür ist Back To Bed viel zu eigenständig in all seinen unterschiedlichen Facetten. Du weißt inzwischen nicht mal mehr, welche drei Akte du hier beleuchten wolltest. Immerhin bist du noch einmal zur Konstanten Dali zurückgekehrt. Zur Welt des Unbewussten und Unterbewussten. Doch Back To Bed ist zu stark, so stark, dass jeder Gedanke an die surreale Welt mit Visionen deiner Träume kollidiert und alles im Schwamm aufsaugt.

Gute Nacht Bob

Back To Bed möchte nicht rezensiert werden! Es braucht keine Kritik und auch keine Review. Back To Bed ist ein eigenständiges Kunstwerk. Und Kunstwerke sind immer unabhängig von Bewertungen. Die Ebene, über die du hier so lange philosophierst, ist mit simplen Mitteln der schriftlichen Annäherung an ein Entertainment-Produkt schlicht nicht erreichbar. Diese Erleuchtung hattest du Ende November 2018. Die Annäherung ist gescheitert.

Back To Bed wurde als interaktiver Kunst-Beitrag in das Samek Art Museum in Lewisburg, Pennsylvania, USA aufgenommen. Und genau damit ist dann auch eigentlich alles gesagt. Du kannst Kunst nicht beschreiben, du kannst dich ihr immer nur auf verschiedenen Ebenen nähern. Doch das reicht eben nicht. Kunst will erlebbar sein, dich faszinieren, deine Sinne stimulieren. Back To Bed kann das als Videospiel auf so vielen Ebenen wie Kunst es selten zuvor jemals konnte. Back To Bed will erlebt, nicht von tausenden von Zeilen erschlagen, umhüllt und eingepackt werden. Nur du und Bedtime Digitals Kunstwerk in einer ruhigen, intensiven Stunde des Grübelns, der Realitätsverzerrung auf der vagen Grenze zwischen Tiefschlaf und Aufmerksamkeitsdefizit. Back To Bed ist all das, was ein Videospiel in seiner schönsten Form jemals erreichen kann. Ein Stück Kunstgeschichte!

Developer/Publisher: Bedtime Digital
Team: Klaus Pedersen (CEO), Jonas Byrresen (Lead Game, Story Designer), Adrielle Buus (Art Director), Dion Christensen (Programmer), Lasse Juul-Jensen (Programmer), Lasse Westmark (3D-Artist)
Veröffentlichung: 6. August 2014 (Steam, PS4, PS Vita, iOS, Android, Windows Phone)
Auszeichnungen: Student Showcase (Independent Games Festival 2013), Guts and Glory Award (Dutch Game Awards 2012), Finalist (Unity Awards 2012), Finalist (NordicGame 2012), Best Console Game Nomination (Indie Prize Europe 2014)


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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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