Thimbleweed Park Review | Die verpixelnde Leiche ist dein geringstes Problem

Eine Stadt, eine Leiche, zwei FBI Agenten, ziemlich viel Staub und ein Haufen wirrer Charaktere. Thimbleweed Park ist die pixelige Hommage an Point&Click-Adventure-Games. Ein Fest aus Zitaten und Referenzen. Kann das gut gehen? 

30 Jahre sind vergangen, seit Maniac Mansion dich mit seinen schier absurden Rätseln in den Wahnsinn trieb. Jahre hast du nach dem Benzin für die Kettensäge gesucht und dich gefragt, ob du das „richtige“ Ende erreicht hast bis das Internet endlich alles aufklärte. 30 Jahre zwischen modernen Pixeln, die den aktuellen Stand der damaligen Technik widerspiegeln und Pixeln als Kunst-/Stil-Element, das bewusst gewählt wurde.
Ron Gilbert war die treibenden Kraft in der Entwicklung von LucasArts Adventure-Games. Er war nicht nur für Maniac Mansion verantwortlich, sondern auch für Monkey Island, Zack MacKraken und Indianer Jones. Zusammen mit Spieldesigner Gary Winnick – der zusätzlich bei Day Of The Tentacle und Loom seine Hand auflegte – entstand über eine Kickstarter-Kampagne nun ein neues Adventure Game, das dich Tief in die 80er Jahre transferiert.

In Thimbleweed Park angekommen, machen sich Agent Ray und Junior Agent Reyes auf, den mysteriösen Mord zu klären und Hinweise, die die Spur auf den_die Täter_in lenken, zu verfolgen. Doch schon bald bemerkst du, dass diese Leiche, die langsam unter der Brücke verpixelt, nicht das einzige Problem der skurrilen Stadt ist. Immer wieder erzählen dir Bewohner_innen Anekdoten aus vergangenen Tagen, die weitere Charaktere und Probleme einführen. Die Leiche unter der Brücke scheint zur Randnotiz zu verkommen. Insgesamt fünf Menschen/Geister stehen dir so im Laufe des Spiels zur Verfügung. Ein verlassener Circus, ein verfolgtes Hotel, eine niedergebrannte Kissen-Fabrik und immer wieder Vakuum-Röhren.

Thimbleweed Park verfolgt eine interessante Story-Line, die zu Anfang noch recht leicht zu erfassen scheint, sich aber mit Fortschreiten des Handlungsstrangs immer weiter ausweitet. Das Adventure ist herausragend geschrieben. Sowohl Story als auch Konversationen sind interessant, spannend und vor allem pointiert verfasst worden. Immer wieder gibt es Anspielungen auf alte Adventures, vor allem welche, die der LucasArts-Feder entsprangen. Auch das Durchbrechen der 4. Wand wird immer wieder äußerst clever gelöst. Die Charaktere sind sich über ihre pixelige Beschaffenheit zu jeder Zeit bewusst. Nahezu wunderbar, wenn ein Automat dich fragt, ob du nicht ein wenig zu viele Adventure-Games gespielt hast, ob deiner unendlichen Nachfrage.
Das Ambiente der Szenen vermittelt dir eine authentische Kreation der 80er Jahre. Ganz wie in Stranger Things saugt dich Thimbleweed Park auf und entführt dich in eine ganz eigene Welt. Als Delores bedienst du deinen C64, findest Bücher mit dem Titel The Tales Of Monkey Island und bewirbst dich bei einem Spieleentwickler als Spielprogrammiererin, dessen Name doch stark an einen alt Bekannten erinnert. Der Kühlschrank im Haus beinhaltet exakt die selben Lebensmittel, die auch schon die Mansion vor 30 Jahren parat hatte. Zudem ist der Humor von Ron Gilbert sehr durchdacht und clever. Immer wieder beeindruckend, wie sich das Spiel zu keiner Zeit auf Kosten Anderer lustig macht oder flach und degradierend wirkt. Bis auf den fluchenden Clown, der einfach nicht anders zu können scheint und somit als Stilmittel eines Handlungsstrangs fungiert.

Für das Hintergrund-Design wurde Mark Ferrari engagiert. Ebenfalls ein alter Bekannter aus der LucasArts-Ära. Er erschafft mit seiner Pixelkunst so detaillierte Szenerien wie sie heutige Engines erst möglich machen. Mit Liebe zum Detail wurde hier eine mysteriöse Umgebung erschaffen, die auch mit Unterstützung des Sounddesigns und der Komponist_innen ganz stark an Twin Peaks erinnert. Twin Peaks auf Acid mit glorreichem Humor vielleicht. Die neue Engine macht es ebenfalls möglich, dass du bei der ganzen Retro-Optik nicht auch Gameplay-mäßig in die Vergangenheit reist. Die Steuerung wurde exzellent an moderne Bedürfnisse angepasst. Dein Pixelmensch kann schneller laufen, durch einen Klick ordnet das System dem anvisierten Objekt das richtige Verb hinzu und auch der Curser bewegt sich wesentlich schneller, als es noch bei Maniac Mansion oder Monkey Island der Fall war.

Thimbleweed Park ist eine moderne Neuinterpretation alter Adventures. Es versetzt dich liebevoll in eine altbekannte Umgebung, vergisst dabei aber nicht modernste Techniken zu integrieren. Die erschaffene Pixelkunst zeigt dir ihren ganz eigenen Charme in einer gestochen scharfen HD-Auflösung. Rätsel und Aufgaben sind durchdacht und anspruchsvoll, können dich aber ebenso aus der Fassung bringen. Ron Gilbert, Gary Winnick und das kleine Terrible Toybox Team beweisen auch heute noch, dass sie zu den besten Geschichtenerzähler_innen gehören, die dieser kulturelle Bereich zu bieten hat. Sie schaffen Universen in denen du dich Stunden verlieren kannst. Zum Teil kommen so absurde Dinge zustande, die du in keinem anderen Spiel findest. Hier wirst du belohnt, wenn du dir über 100 Bücher in der Bibliothek anschaust, einen Clown schubst oder Staub sammelst. Jedes kleinste Detail entwickelt sich zum Spaßfaktor und fördert deinen Erkundungsdrang die Stadt genaustens zu inspizieren. Du triffst bekannte und längst vergessene Charaktere und zerstörst deinen Kopf mit Theorien.

Thimbleweed Park ist eine Hommage an sich selbst, an Adventure-Games und an die Kultur der Videospiele. Die Geschichte und das Spiel funktionieren ebenso wenn du noch nie etwas von allen erwähnten Spielen gehört hast. Wenn du dich fragst, wie die limitierte Kunst der Pixel Emotionen auf dich übertragen kann, solltest du dir Thimbleweed Park sehr genau anschauen. Die Synchronisation der Bewohner_innen und der Neuankömmlinge ist wunderbar umgesetzt. Es ist ein Spiel, das es in dieser Form heute nur noch ganz selten gibt, da es so viele Aspekte vereint, die allesamt harmonieren und in der Symbiose ein perfektes Spiel ergeben. Eine Mischung aus unglaublicher Story, glänzender Atmosphäre, großartiger Kunst, eigensinnigen Charakteren, aufreibenden Rätseln und Enthüllungen. Thimbleweed Park ist ein weiterer Meilenstein auf dem Adventure Walk of Fame. Ein Spiel, das du gar nicht so schnell beenden magst, um es noch länger zu knuddeln und zu genießen. Es ist das Spiel auf das du drei Jahre gewartet hast und es ist jede Sekunde deiner Wartezeit wert.

10/10 <3


Developer/Publisher: Terrible Toybox
Producers: Ron Gilbert, Gary Winnick
Designers: Ron Gilbert, Gary Winnick, David Fox, Mark Ferrari, Octavi Navarro
Release: 30. März 2017 (Mac, Windows, Linux, Xbox One,) / inzwischen auch (iOS, Android, PS4, Switch)
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* Alle Screenshots zeigen In-Game Szenen (Bis auf die Übersicht der Charaktere und das Panorama)
Autorin: Benja Hiller
Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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